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Berlin: Mit dem Abend kommt der Stress

Ein Unterschied wie Tag und Nacht: Mit der Kiezstreife in der Dunkelheit in Neukölln unterwegs. Beliebt sind diese Touren nicht

Letzte Runde für heute. Wenn am frühen Abend die Dämmerung einsetzt und die Gaslaternen in Neukölln anspringen, ziehen Thomas Kolb (43) und Heiko Braese (35) im Ordnungsamt nach ihrer Pause noch einmal für eine Stunde die blauen Jacken über und gehen hinaus. Seit dem 1. September laufen die beiden als Kiezstreifen durch Neukölln, um für Ordnung zu sorgen. Nachdem sie sich drei Wochen eingewöhnt haben, werden sie nun auch am Abend eingeteilt.

Der Dienst in der Dämmerung löst keine Begeisterung aus. Das ungemütliche Wetter ist nicht der Grund. Eher der Kiez, der sich abends noch einmal verändere, sagen sie: Die alten Leute mit ihren Hunden, die ihr Geschäft auf dem Bürgersteig verrichten, sind längst zu Hause. Ebenso diejenigen, die gearbeitet haben, und nun ihren Feierabend genießen. Draußen seien jetzt die, „die was erleben wollen“. Und der Erlebnisdrang kann besonders in Neukölln ganz unterschiedlich aussehen.

Am Richardplatz treffen Kolb und Braese auf Hakim. Der Jugendliche arabischer Herkunft spurtet geradewegs auf Kolb zu. Und streckt ihm die Hand entgegen. „Hi, Thomas, alles klar?“, fragt Hakim. „Ja, muss ja“, sagt Kolb. Die beiden plaudern kurz, dann eilt Hakim weiter. Kolb sagt, Hakim wolle sein perspektivenloses Leben, das viele Jugendliche hier haben, in den Griff bekommen. „Der schreibt jetzt Bewerbungen ohne Ende.“

Den „Kontakt aufbauen“ – das betrachten Kolb und Braese als ihre primäre Aufgabe im Kiez. „Was nützt es, wenn wir sofort auf die Jugendlichen losgehen und abkassieren wollen, weil sie eine Kippe auf die Straße geworfen haben?“, sagt Braese und antwortet gleich selbst: „Nix. Denn dann haben wir mit denen nur Stress. Das riskier’ ich in dieser Gegend nicht.“ Sie sagen, sie hätten keine Angst, sondern „Respekt“ vor diesen jungen Männern, die hier im Kiez was zu sagen haben und in ihren tiefer gelegten BMWs säßen und provozieren wollten. Mit Geduld und Ruhe müsse man da rangehen. Kolb hofft, dass es „irgendwann klick macht bei denen im Kopf“, wenn er sie immer wieder ermahnt, dass Zigarettenstummel in den Mülleimer gehören und nicht auf die Straße.

Ab kommender Woche wird es in Neukölln sechs Kiezstreifen geben, sagt der Leiter für Ordnungsaufgaben, Bernd Händschke. Er hofft, dass er bis Weihnachten 16 Leute für die Streife hat. Insgesamt soll es 34 Kiezstreifen geben. Damit hätte Neukölln die meisten. Die anderen Bezirke werden höchstens 28 Ordnungshüter zum Verwarngeldkassieren hinausschicken. „Neukölln gilt nun mal als sozialer Brennpunkt. Das Bezirksamt hat sich engagiert, dass wir sechs Leute mehr bekommen“, sagt Händschke. Doch alles, auch was die Kosten betrifft, müsse sich erst einmal einspielen: Geplant ist, dass nach einem Jahr der Durchschnitt der Einnahmen errechnet wird. „Dann wird man sehen, ob auch alle Stellen hier finanziert werden können.“

Die Abendstreife von Kolb und Braese geht kurz nach 20 Uhr zu Ende. Auf dem Rückweg kommen sie an einer Gruppe von bärtigen Männern mit Bierflaschen vorbei, die vor einem Getränkekiosk sitzen. Die Kiezstreifen stellen sich vor. „So lange ihr nicht laut seid oder eure Kippen auf den Gehweg schmeißt, ist alles okay“, sagt Kolb. Einer aus der Gruppe beteuert: „Wir sind imma janz leise.“ Und dann drückt er seine Zigarette am Kiosk-Mülleimer aus und schnipst sie dort hinein. Es geht doch.

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