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Berlin: Mit ganz weit geöffneten Augen

Fouad Khalil hilft in Not geratenen Nachbarn – egal, ob Christ oder Muslim Dafür bekommt er heute das Bundesverdienstkreuz

Eine kleine Fabrik im Kreuzberger Hinterhof: Auf dem Fenstersims spielen Engel auf der Laute, auf dem Schreibtisch lachen auf einem Foto drei Enkeltöchter auf den Schößen ihrer drei Mütter. „Wir sind sehr, sehr glücklich“, wiederholt Fouad Khalil, der Großvater und Besitzer der Fabrik, immer wieder. Der gebürtige Ägypter lebt seit 48 Jahren in Berlin. Eigentlich hatte er nach dem Maschinenbaustudium in seiner Heimat nur ein sechsmonatiges Praktikum in Deutschland einlegen wollen. Dass er blieb und weiterstudierte, ist seiner Frau Karin zu verdanken, die ihm als junge Studentin sein Zimmer im Wohnheim streitig machen wollte, und die er dann vorsichtshalber gleich geheiratet hat.

Wenn Fouad Khalil am heutigen Freitag aus der Hand des ägyptischen Botschafters den vom Bundespräsidenten verliehenen Verdienstorden in der ersten Stufe bekommt, will er alle darauf aufmerksam machen, dass der eigentlich zur Hälfte seiner Frau gebührt. Seit Jahrzehnten arbeitet Khalil ehrenamtlich für die koptisch-orthodoxe Kirche in Deutschland, der etwa 2000 Familien angehören. Unter anderem ist er Schatzmeister und Stellvertreter von Bischof Damian, dem Oberhaupt der Kirche ägyptischer Christen in Deutschland. Während der Bischof für alles Spirituelle zuständig ist, kümmert sich Khalil um weltliche Angelegenheiten, handelt günstige Zinssätze aus, wenn die Kirche einen Kredit braucht, erledigt den Schriftverkehr, wenn ein dringend benötigter Diakon eine Aufenthaltserlaubnis braucht. In der Begründung für die Auszeichnung wird unter anderem angeführt, dass Khalil erhebliche Teile seines Privatvermögens für den Bau einer koptischen Kirche in Lichtenberg gegeben hat. Aber das Engagement des 77-Jährigen, der mit leiser Stimme spricht, reicht weiter. Wenn man mit Fouad Khalil redet, muss man mit Unterbrechungen rechnen. Immer wieder klingelt das Handy, das rund um die Uhr in Bereitschaft ist. Nicht wegen der Fabrik, die Transformatoren und Netzteile produziert. Die läuft gut. Nein, er will, dass mögliche Notrufe ihn ohne Umweg und sofort erreichen. Zweimal ist eine junge Frau am Apparat, deren Vater die Familie verlassen hat. Als sie von der Schule flog, hat er sich bemüht, ihr einen neuen Platz zu besorgen. Viel Schreibkram. Und weil die Mutter die materiellen Bedürfnisse des Mädchens nicht alle finanzieren kann, hat er mit dem befreundeten Chef eines Fastfood-Restaurants gesprochen und ihr dort einen Job besorgt. Studenten aus verschiedenen Ländern gibt er Arbeit und zwar so, dass sie sich die Zeit entsprechend den Vorlesungen selber einteilen können. Einer Witwe und Mutter von zwei Töchtern besorgte er Arbeit, weil die Rente nicht reichte. Heute ist er stolz, dass die Töchter Akademikerinnen geworden sind.

Lehnt er auch schon mal Hilfeersuchen ab? „Wunder kann ich nicht vollbringen“, sagt er. „Man muss erkennen, wenn man etwas nicht ändern kann.“ Fouad Khalil geht einfach mit weit geöffneten Augen durch die Welt, um zu sehen, wo er etwas zum Guten wenden kann. Für Bischof Damian ist er ein besonders gelungenes Beispiel für Integration: „Er ist ein loyaler, erfolgreicher Deutscher geworden und hat seine religiöse Identität trotzdem behalten.“ Geradezu enthusiastisch lobt der Bischof Khalils Verdienste um die Ökumene und das Zusammenleben mit Muslimen. Mit vielen kleinen Schritten und Gesten bemüht sich Khalil, Vorurteile, die bei Muslimen gegenüber Christen herrschen, abzubauen. „Ich bin bei muslimischen Hochzeiten dabei und bei Beerdigungen. Das ist ganz wichtig. Das schafft Vertrauen.“ Am Ende des Ramadans lädt die Gemeinde Muslime in die koptische Kirche ein. In seinem Unternehmen mit zwölf internen und zwanzig externen Angestellten arbeiten Christen, Muslime und ein Jude. Ein gutes Arbeitsklima findet er ganz wichtig. Zweimal im Jahr fährt er nach Ägypten. Inzwischen ist er der Älteste in seiner Familie, und sein Rat ist gefragt, nicht nur bei Streitigkeiten, sondern auch bei Hochzeiten und Geldangelegenheiten aller Art. „Bei uns ist das so, dass einer für den anderen da ist.“

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