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Berlin: Mit Nelke im Knopfloch

Vor dem Roten Rathaus feierten tausende Gewerkschafter und einige Revolutionäre gut gelaunt ihren 1.Mai

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Für eine zünftige Maikundgebung braucht man aus gewerkschaftlicher Sicht: ein Transparent, gutes Wetter, kämpferische Redner, Bratwurst, Musik und Bier. So gesehen, war der 1. Mai vor dem Roten Rathaus von allererster Güte. Gleich neben dem Neptunbrunnen hüpften Kinder wie verrückt auf der Gummigiraffe herum. Ein junger Mann schob sein Fahrrad über den Platz, in der Hand ein Pappschild: „Schröder muss weg – für eine neue Linkspartei“. Vater und Sohn aus Schmalkalden verkauften mit Erfolg „echte Thüringer Roster, ungebrüht“ – gleich neben den Ständen der IG Metall und Verdi. Wie jedes Jahr wurden die Info-Tische der revolutionären Arbeiterklasse ein wenig an den Rand gedrängt. Sei es das „Rote Antiquariat“, die DKP Berlin oder die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands. Die „Rote Fahne“ gab es immer noch, aber auch den sonnengeblümten Stand der Anti-Atomkraftbewegung. Dazu gesellten sich in der Vormittagssonne die neuen gesellschaftlichen Bewegungen. Am Stand von Attac schaute man in junge, gut gelaunte Gesichter. Ein wenig weiter forderten fröhliche Nachwuchs-Linke „die volle Rente mit 60 und Arbeit in Jugendhände“. Jungsozialisten mit roten Fahnen und ein verspäteter FDJler im blauen Hemd – sie alle genossen den Tag der Arbeit.

Doch um 11.32 Uhr wurde es Ernst. „Der Zug kommt“, rief die Sprecherin auf der Rednertribüne aufgeregt. Man hörte Trommeln und Pfeifen; behutsam wurden Traditionsfahnen aus der Frühzeit der Berliner Gewerkschaftsbewegung herangetragen. Eine italienische Delegation wurde mit Beifall begrüßt. Dann verteilte sich der Demonstrationszug, der vom Brandenburger Tor herkam, allmählich über den Platz. 12000 Teilnehmer schätzte die Polizei; die Veranstalter zählten 25000. Das zeitgerechte Motto der zentralen DGB-Kundgebung in Berlin: „Unser Europa – frei, gleich, gerecht“.

Der Landeschef des DGB, Dieter Scholz, war nicht da. Er sprach auf der Mai-Kundgebung in Wien. Sein Stellvertreter Bernd Rissmann schimpfte wüst auf den „dilettantischen Senat“. Die neue Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer hörte, mit einer roten Nelke im Knopfloch, interessiert zu. Tony Janssen, der belgische Präsident des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes, trug die internationale Solidarität nach Berlin. Anschließend fand der DGB-Bundeschef Michael Sommer harte Worte für die Bundesregierung, „die sich den Menschen nicht verpflichtet fühlt“. Dann wurde es wieder gemütlich. Das Maifest mit Kinderprogramm begann.

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