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Berlin: Mittendrin und doch daneben

Die Akademie der Künste: Gläserne Stille, gähnende Leere, verwaltetes Nichts

An diesem Vormittag herrscht Ruhe im intellektuellen Herzen der Republik. Schnee fällt in dicken Flocken auf den Pariser Platz, und die Touristenströme am Adlon und Brandenburger Tor umgehen die Akademie der Künste, als läge drinnen das Epizentrum der Vogelgrippe. Der Bau hat drei Doppeltüren, und weiße Klebezettel mit den Aufschriften „Eingang“ und „Eingang dort“ weisen den Weg durch die mittlere ins Foyer; die anderen sind gesperrt.

Drinnen sind – es ist 10.30 Uhr – drei Menschen zu sehen. Zwei sitzen hinter der Kasse am Buchshop und gähnen in unregelmäßigen Abständen, der dritte ist eine junge Frau, die weiter hinten hinter der Theke des Sarah-Wiener-Bistros Tassen stapelt. Gläserne Stille. Der sehr kleine Cappuccino kostet 2,70 Euro, an der Wand hängen zwei gefledderte Tagesspiegel, der eine zwei, der andere drei Tage alt.

Ein paar Männer, Handwerker offensichtlich, gehen vorbei, telefonieren. Ein Ehepaar kommt durch den Hintereingang, mustert kurz die Speisekarte, bestellt Sandwiches. Nein, heißt es, die Sachen aus der Karte seien nicht alle da, nur das, was in der Vitrine zu sehen ist.

Dies ist also das Glitzerding, das Schaufenster, mit dem die im Hansaviertel ehrenvoll ergraute Akademie zu neuen metropolitanen Ufern aufbrechen wollte – jener Bau auch, den der Anwalt und Kunstförderer Peter Raue hier im Tagesspiegel vernichtend kritisierte, und den auch Senatsbaudirektor Stimmann einen „tragischen Fall“ nennt. Doch wenn das so wäre: Müssten dann nicht die Berliner und ihre Besucher in langen Schlangen anstehen, um die Tragödie selbst in Augenschein zu nehmen, fasziniert, wie man die Augen nicht von einem blutigen Autounfall wenden kann?

Das ist vermutlich das Schlimmste an der Situation: Neben den Großmuftis der Polit- und Kulturszene interessiert sich offenbar überhaupt niemand für den so schmählich zur provisorischen Eröffnung geschlingerten Bau. Was könnte einen Passanten dazu verleiten, hier hineinzugehen?

Vor dem historischen Teil des Gebäudes hängt ein riesiges Plakat des fotografierenden Einar Schleef – dahinter öffnet sich ein leerer Raum, auf dessen Boden die Handwerker hantieren. In der Passage hinter dem Bistro hängen großformatige Fotos von Hans-Dieter Grabe mit Motiven aus Afrika. Ein großer, teurer TV-Monitor versendet einen Dokumentarfilm zu deren Entstehung geschäftig ins Nichts, dorthin, wo eine Hand voll Stühle auf imaginäre Zuschauer wartet. Der Schnee, der auf das Glasdach fällt, dämpft das Licht: Traurigkeit der Avantgarde von gestern.

Es muss hier was geben. Hinauf über eine der vielen Treppen zum ersten Stock, vorbei an vielen weiteren leeren Café-Stühlen. Sperren, eine Glastür, dahinter Bücher, Computer, Flachmonitore. Kein Mensch, aber wieder ein Zettel: Der Lesesaal sei geschlossen, man möge doch bitte das Angebot der Außenstelle der Akademie. . .

Weiter oben, hinter Glas umrisshaft zu sehen, bewegen sich Menschen, offenbar jene, die dieses Nichts verwaltungstechnisch am Leben erhalten wie Ärzte einen Komapatienten. Sonnabendabend ist eine Veranstaltung, die letzte davor war am Montag. An der Kasse gähnen die beiden Mitarbeiter immer noch, niemand hat in dieser halben Stunde ihre Dienste in Anspruch nehmen wollen. Ein Tränenpalast für Anspruchsvolle.

Hinten führt der Weg in jenen Bereich, den der Senat der Akademie weggenommen und dem Hotel Adlon zugeschlagen hat – ein Kardinalfehler, wie man in der Akademie meint. Doch was wäre dort hinten, wenn nicht wenigstens „Metzke’s Deli“ ein paar Menschen anzöge? Auch die Tür zum China-Club tut, was sie meistens tut: Sie steht verstockt da wie der Eingang eines Pharaonengrabs. Dann wieder ein paar Passanten. Sie haben die Akademie als geheizte Passage entdeckt, als beste Möglichkeit, vom Holocaust-Mahnmal zum Pariser Platz zu gelangen, ohne die zum Hochsicherheitsboulevard ausgebaute Wilhelmstraße benutzen zu müssen. Immerhin.

30 Minuten später in der alten Akademie der Künste im Hansaviertel. Hier ist die Uhr nicht ins Nichts gesprungen, sondern einfach stehen geblieben, gefühlt: 1987. Nein, es ist gemütlich hier unter den niedrigen Decken des Betonbaus, der Cappuccino kostet zwei Euro, der Tagesspiegel ist aktuell, der Besucher taucht unversehens ein in die komfortable Berechenbarkeit West-Berlins, wo die subventionierte Kultur immer dieses spezifische Volkshochschul-Aroma ausdünstete.

Um elf beginnt die Aufführung einer britischen Theatergruppe – ein paar Zuschauer finden sich ein und gehen durch die Absperrung ins Auditorium. Oben im ersten Stock geht es zur Transmediale, einige Besucher sind auch dort zu sehen: Akteure eines grauhaarigen Betriebs, der sich selbst genügt, und der von der Eröffnung des Schaufensters am Pariser Platz wohl Sauerstoffzufuhr erhoffte, Politur, Glamour.

Nun hat er so gar nichts davon bekommen.

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