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Modellprojekt: Urlaub ist harte Arbeit

Ausbildung im türkischen Strandhotel: Bei einem Modellprojekt absolvieren Kreuzberger Jugendliche ihre Praktika in Antalya.

Herzlich begrüßt Hotelmanager Bahadir Aksoy in der asiatisch-nüchtern gestalteten Lobby des „Limak Lara“die Gruppe. „Als Sie hereinkamen, sah ich mich vor 20 Jahren, wie ich meinen Beruf begann. Mir kamen fast die Tränen“, sagt Aksoy, in Deutschland aufgewachsen und seit eineinhalb Jahren stellvertretender Geschäftsführer in dem Fünf-Sterne-Haus im türkischen Antalya. Seine Besucher sind 30 angehende Hotelfachleute aus Berlin, die im Sommer in den Strandhotels arbeiten werden.

Sie sollten sich von den sentimentalen Worten des Managers nicht täuschen lassen. Immer wieder lässt dieser den Blick über die Gruppe schweifen, die Restaurants und Poolanlagen inspiziert. Der erste Eindruck zählt. Das hat Ausbilderin Margret de Miéville ihren Schützlingen mit auf den Weg gegeben. Schwarz-weiße Kleidung ist Pflicht; eine frische Rasur bei den jungen Männern ebenso. Ihre Kolleginnen haben meist die Haare zusammengebunden. Aksoy registriert, wer sich beim Fruchtsaftcocktail im Sessel fläzt und wer aufmerksam zuhört. Der Hotelmanager hat seinen ersten Eindruck. Sein Urteil ist hart: „Nur die Hälfte ist geeignet. Den anderen fehlt die Begeisterung für den Beruf.“ Gleichwohl wird er im Sommer Praktikanten nehmen: „Zweisprachiges Personal wird enorm nachgefragt.“

Die 22 jungen Männer und acht Frauen nehmen am bundesweit einmaligen Modellprojekt „Bilinguale Ausbildung zum Hotelfachmann/Hotelfachfrau mit interkulturellem Schwerpunkt“ teil. Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg, die Industrie- und Handelskammer und das Bildungswerk Kreuzberg haben das Projekt entwickelt, um jungen Hartz-IV-Empfängern eine überbetriebliche Ausbildung zu ermöglichen, die sie auf dem freien Lehrstellenmarkt nicht hätten. „Wir wollen die Ressourcen der Jugendlichen nutzen“, sagt Nihat Sorgec, Geschäftsführer des Bildungswerks. Potenziale, die sich aus dem Aufwachsen in zwei Kulturkreisen ergeben und die sonst brachliegen.

Die meisten der Azubis im Hotelprojekt sind türkischer Abstammung, aber auch Libanesen, Palästinenser, Bosnier, Griechen und deutschstämmige Jugendliche werden ausgebildet. Sie kommen großteils aus Friedrichshain-Kreuzberg, wo die Arbeitslosigkeit bei den Unter-25-Jährigen mit 21,9 Prozent weit über dem Berliner Durchschnitt von 14,8 Prozent liegt. Die zweisprachige Ausbildung soll ihnen neue Perspektiven schaffen. Für die Türkischstämmigen unter ihnen ist es leichter, aber auch für die anderen öffnet sich so die Möglichkeit, internationale Erfahrungen zu sammeln, die im Hotelbusiness von großer Bedeutung sind. „Viele von ihnen wissen, dass es ihre letzte Chance ist, eine Ausbildung zu erhalten“, sagt Professor Jürgen Nowak von der Alice-Salomon-Fachhochschule, der das Modellprojekt wissenschaftlich begleitet. Teil der dreijährigen Ausbildung, an deren Ende die reguläre Prüfung bei der IHK steht, sind zwei jeweils dreimonatige Praktikumsphasen in Antalya. Deshalb sind die Azubis mit ihren Ausbildern auf Besichtigungstour durch die Hotels. Alle erhalten Türkischunterricht. Basiskurse für die nicht-türkischstämmigen Teilnehmer, Auffrischungs- und Fachunterricht für die Muttersprachler.

Nursel Dogan gibt sich entschlossen, die Ausbildung durchzuziehen. Die zierliche 21-jährige Kurdin, die mit elf Jahren aus dem Osten der Türkei nach Berlin kam, hat schon verschiedene Praktika hinter sich; eine Berufsperspektive ergab sich daraus für sie bisher nicht. Özlem Yilmaz hat schon eine Ausbildung zur Kaufmännischen Assistentin abgebrochen, danach gekellnert und im Callcenter gearbeitet. Das Hotelwesen ist nicht ihr Traum, die 22-Jährige möchte lieber Flugbegleiterin werden. Um ihrem Wunsch näherzukommen, braucht sie eine abgeschlossene Berufsausbildung. Längerfristig in der Türkei zu arbeiten, kann sie sich aber nicht vorstellen.

Christian Meier ist einer der wenigen Teilnehmer ohne Migrationshintergrund. Der 24-Jährige weiß, dass er eine solche Chance nicht noch einmal bekommen wird. Er schaut zurück auf eine abgebrochene Lehre im Sanitärhandwerk, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Ein-EuroJobs – diese typische Jobcenter-Karriere will er hinter sich lassen. „Ich will ins Ausland“, sagt er. Bei den Rundgängen durch die Hotels macht er ausführliche Notizen.

Jetzt ist Nebensaison. Der Himmel ist verhangen, am Vortag hat es in Sturzbächen geregnet. In den Lobbys sitzen wenige Gäste. Am Lara-Strand, östlich von Antalya, reiht sich ein Riesenhotel ans nächste. Dies sind die Einsatzorte der Berliner Azubis. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie es im Sommer sein wird. Wenn zehntausende Touristen dort urlauben. Die Hotels bieten fast alle „ultra all inclusive“ an; das heißt Service und vor allem Alkoholausschank rund um die Uhr. Gerade die zahlreichen russischen Touristen mögen das sehr.

Für die Azubis sind das verschärfte Bedingungen. Noch wohnen sie selber als Gäste in einem solchen Haus. Den ersten Hauch Realität erleben sie beim Besuch der Personalunterkünfte. Darauf hat Projektleiter Rainer Fink bestanden: „Sie müssen wissen, was auf sie zukommt.“ Die Unterkünfte, die kilometerweit von den Hotels entfernt liegen, sind ein einziger Kontrast zu den großzügigen Hotelanlagen. Auf wenigen Quadratmetern stehen dichtgedrängt vier bis fünf Betten. Die Badezimmer, die kritisch beäugt werden, sind winzig. „Wenigstens gibt’s keinen Schimmel“, sagt Özlem.

Im vergangenen Winter, als die erste Gruppe unterwegs war, haben nach der Orientierungstour neun Teilnehmer abgebrochen. So viele Aussteiger erwartet Projektleiter Rainer Fink diesmal nicht. Allerdings muss sich bei einigen noch die Einstellung zu Pünktlichkeit und Arbeit ändern, wenn sie weiter an der Ausbildung teilnehmen wollen. Fink hat im Sommer die Azubis bei ihrem Türkeiaufenthalt betreut. Drei Monate rund um die Uhr. Etliche waren noch nie so lange von ihrer Familie getrennt, hatten Heimweh. „Gerade bei den Jungs flossen die Tränen“, sagt Fink. Aber alle hielten durch; nur eine junge Kurdin wurde von ihren Brüdern abgeholt – die Familie billigte es nicht, dass die Tochter alleine weg war.

Probleme gab es immer wieder mit der Arbeitsmoral. „Viele haben zu Hause keine Vorbilder; sie sind die einzigen in der Familie, die arbeiten gehen“, sagt Fink. Er lernte im Sommer etliche Arbeitsvermeidungsstrategien kennen. Krankmeldungen gingen gerade anfangs reichlich ein. Zum Teil mit skurrilen Ausprägungen. Eine junge Frau hatte sich nach einem Sturz mit einem Moped wegen angeblicher Schmerzen ein Bein eingipsen lassen. Vom Arzt erfuhr Fink, dass keine Verletzungen erkennbar waren. Der Gips kam sofort ab, die junge Frau ging noch am selben Tag problemlos arbeiten.

Einige Hotelgeschäftsführer klagten über die Arbeitsmoral der Berliner Nachwuchskräfte: „Zu faul und zu oft krank“. Diese Einschätzung war nicht allein auf das Verhalten der Lehrlinge zurückzuführen, sondern beruhte vor allem auf der Tatsache, dass diese nach deutschem Arbeitsrecht behandelt werden müssen: Für sie gilt die Fünf-Tage-Woche und eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden. Die Hotels brauchen bei den einheimischen Kräften darauf keine Rücksicht zu nehmen: Die müssen – wenn nötig – 15 Stunden oder mehr ran.

Es kamen aber noch weitere Reaktionen. Positive. Welche, die Mut machen. Manager Türkay Senada vom Hotel Miracle kommt Monate später ins Schwärmen, wenn er an eine Berliner Auszubildende denkt, die sich im Sommer am Empfang in der weiträumigen Lobby um Sorgen, Wünsche und Fragen der Gäste gekümmert hat: „Sie war meine rechte Hand.“ Immer freundlich, professionell und engagiert habe sie die Dinge in die Hand genommen und Probleme effizient gelöst. Keine Frage, dass Senada sie im kommenden Sommer bei ihrem zweiten Praktikum wieder einsetzen will. Manager Kilinc Ertugrul vom benachbarten Hotel Kervansaray erinnert sich ebenfalls zufrieden an die vier Praktikanten, die diszipliniert im Service gearbeitet hatten: „Auf jeden Fall haben sie hier Chancen.“

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