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Berlin: Momper: Einen Streik hält die Stadt aus

Für den früheren Regierenden Bürgermeister sind die Gewerkschaften schon jetzt die Verlierer im Tarifstreit

Es war der erste große Streik der West-Berliner Nachkriegsgeschichte und ist bis heute der längste Arbeitskampf in der Stadt geblieben: Elf Wochen lang waren im Winter 1989/90 die städtischen Erzieherinnen im Ausstand und die Kindertagesstätten geschlossen. Nur wenige Wochen nach Öffnung der Mauer hatten die Gewerkschaften ÖTV und GEW die Erzieherinnen mit dem Ziel, die Gruppengrößen im Tarifvertrag festzuschreiben, zum Arbeitskampf aufgerufen.

Als der damalige ÖTV-Vorsitzende Kurt Lange Ende März den Streikenden verkündete, der Streik werde ausgesetzt, musste er ein Minuten langes Pfeifkonzert über sich ergehen lassen. Denn erreicht hatten ÖTV und GEW nichts; der rot-grüne Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper hatte die Gewerkschaften einfach auflaufen und sich von seiner Position nicht abbringen lassen. Obwohl Tausende von Eltern, die die ganze lange Zeit über die Betreuung ihrer Kinder selbst organisieren mussten, war Momper hart geblieben. Die Gewerkschaften, besonders ÖTV-Mann Lange, verziehen Momper dies nicht und sprachen von einem „knallharten Konfrontationskurs“.

Wie hat die Stadt das ausgehalten? Ein Arbeitskampf in Kindertagesstätten betrifft viele Menschen und gehört zu den stärksten Streikmaßnahmen der Gewerkschaften, vergleichbar mit der Stilllegung des öffentlichen Nahverkehrs. „Eine solche außergewöhnliche Situation setzt auch außergewöhnliche Kräfte frei“, sagt Momper heute über den Streik. „Beispielsweise haben die Arbeitgeber es zugelassen, dass Frauen ihre Kinder mit zur Arbeit bringen.“ In anderen Fällen hätten Nachbarschaften Betreuung organisiert. Momper hält die Entscheidung nach wie vor für richtig, dem gewerkschaftlichen Druck nicht nachgegeben zu haben. Es habe sich gezeigt, dass in einer hoch organisierten Gesellschaft die Menschen in der Lage sind, mit einer komplizierten Lage fertig zu werden, wenn es auch in Einzelfällen echte Härten gab: „Mit solidarischem Handeln wurde der durch den Streik erzeugte Leidensfaktor entschieden herabgesetzt.“

Wenn die Gewerkschaften in der jetzigen Tarifauseinandersetzung mit Streik drohen, sei dies ihr legitimes Recht. Sie müssten sich aber fragen lassen, ob das zum derzeitigen Zeitpunkt klug sei. „Das ist es nämlich nicht“, sagt Momper. Die Gewerkschaften, vor allem der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske, hätten mit ihren Forderungen „viel zu hoch gerüstet“.

Er befürchte eine „bittere Niederlage der Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes, die ich sehr bedaure“. Selbst wenn sie jetzt einen höheren Tarifabschluss erzielen sollten, müssten sie damit rechnen, dass immer mehr Kommunen aus den Arbeitgeberverbänden austreten werden. „Dann wird es wie in der Brandenburger Baubranche, wo hohe Tarifabschlüsse erzielt wurden, aber kaum noch Unternehmen gebunden sind.“

Und auch ein flächendeckender Streik mit Einbeziehung der BVG oder der Stadtreinigung, wie bei dem bundesweiten Arbeitskampf 1992, trage nicht zur Stärkung der Gewerkschaften bei. Ganz im Gegenteil, sagt Momper, sie müssten aufpassen, dass sie dadurch nicht öffentliche Betriebe in Gefahr bringen. „Wenn dann ganz schnell die privaten Müllentsorger einspringen, könnte man vielleicht auch auf die Idee kommen, dass es immer so geht.“ Das Gleiche gelte bei den Verkehrsbetrieben. Mompers Fazit: „Anders als oft angenommen, sind die Gewerkschaften alles andere als in einer starken Position.“

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