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Jobcenter: Monatelang warten aufs Geld vom Amt

Immer mehr Klagen: Die Wohlfahrtsverbände kritisieren falsche Bescheide und schlechte Beratung, denn die meisten Kunden verstehen die Bescheide ihres Jobcenters nicht.

Janine Hirte, 20 Jahre, und Gökcer Köllen, 22, hatten Glück: Rechtzeitig vor der Geburt ihrer Tochter Pheline fanden sie eine neue Wohnung. Zweieinhalb Zimmer in Schöneberg, ein Zimmer mehr als zuvor in Neukölln. Sogar die Miete passte: Das Jobcenter würde sie normalerweise bezahlen, denn der Kraftfahrer und die Hausfrau beziehen Arbeitslosengeld II. Ob das Jobcenter Tempelhof- Schöneberg seinen Verpflichtungen nachkommt, ist aber ungewiss: Seit zwei Monaten liegt der Antrag des Paares auf ALG II dort vor. Wann er bewilligt wird, ob es ein Problem gibt, sagt ihnen aber niemand. In ihrer Geldnot sprechen sie zweimal wöchentlich vor.

Das ist kein Einzelfall, sondern üblich, sagen die Wohlfahrtsverbände. „Wartezeiten von acht Wochen gibt es häufiger, und von den bewilligten Anträgen sind viele falsch“, sagt Frank Steger vom Berliner Arbeitslosenzentrum der Diakonie. Viel Geduld brauchen „Kunden“ der Jobcenter auch, wenn sie eine Änderung ihrer Einkünfte melden oder – wie Janine und Gökcer – einfach nur in einen anderen Bezirk umziehen. Zudem würden die Zuwendungen für Unterkunft und Heizung und die Anrechnung der Einkünfte aus kleineren Jobs auf die Leistungen oft falsch berechnet.

„Deshalb wird die Klagewelle immer größer“, sagt Steger. Im ersten Halbjahr hätten 7742 Kläger gegen ALG-II-Bescheide das Berliner Sozialgericht beschäftigt, rund 2500 mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Chancen der Kläger stehen gut: 40 Prozent der Verfahren gingen zugunsten der Leistungsempfänger aus. Familie Hirte-Köller hat nun auch das Gericht eingeschaltet.

Beim Jobcenter Tempelhof-Schöneberg spricht man von Einzelfällen: „Im vergangenen Jahr legten Bürger nur gegen fünf Prozent der 150.000 von uns erlassenen Bescheide Widerspruch ein“, sagt Sprecher Klaus Reiche. Widersprüche würden innerhalb von höchsten drei Monaten bearbeitet. „Änderungsmitteilungen“ würden kurzfristig bearbeitet, allenfalls der Postweg innerhalb des Hauses brauche einige Tage.

Nach Angaben der Verbände hingegen dürften noch viel mehr falsche Bescheide erlassen worden sein, als in den Jobcentern oder vor den Sozialgerichten verhandelt werden. Denn nicht jeder ALG-II-Empfänger prüfe die Bescheide, zumal die Berechnungen „für fast niemanden“ nachvollziehbar seien, sagen die Wohlfahrtsverbände. Schuld daran hätte die bundesweit einheitliche Software „A2LL“. Diese wird sogar in Jobcenter-Kreisen unumwunden als „grausam“ bezeichnet.

Eine Ursache für die Fehler in den Bescheiden sehen die Experten auch in der Besetzung der Stellen der Berliner Jobcenter: Zwei Drittel des Personals, die früher in Arbeitsämtern oder in den Bezirken angestellt waren, seien zwar in der Sozialgesetzgebung firm, doch ein Drittel der Stellen sei mit früheren Telekom-Mitarbeitern besetzt worden. Diese würden zwar geschult, seien aber mit Sozialfragen „nicht immer vertraut“.

Warum die Familie Hirte-Köllen nach zwei Monaten noch keinen Bescheid erhalten hat, konnte der Sprecher des Centers gestern nicht sagen – die Software streikt. Im Beratungsbus der Berliner Wohlfahrtsverbände haben sie nun aber Hilfe gefunden – wie 150 andere unzufriedene Kunden der Jobcenter an den bisher sechs ersten Einsatztagen des Busses. Die Aktion läuft noch drei Wochen, der Titel: „Irren ist amtlich“.

Weiteres im Internet: <a href="http://www.beratung-kann-helfen.de" target="_blank" rel="nofollow">www.beratung-kann-helfen.de</a>

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