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Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker 1934 bei der Arbeit an einer Dionysos-Figur.

© Ullstein Bild via Getty Images

Zwischen Exil und Anpassung: „Monster Berlin“ seziert Berlins Kulturgeschichte zur NS-Zeit

Exilliteratur, Unterhaltung, Musik – Kai-Uwe Merz untersucht im Buch „Monster Berlin“ die Stadt der 30er und 40er. Im Fokus steht Biografisches.

Über die Lage seines Hauses konnte Dr. Gustav Oppermann sich wahrlich nicht beklagen: „Vor ihm senkte sich sein kleiner Garten in drei Terrassen hinunter in den Wald, rechts und links hoben sich waldige Hügel, auch jenseits des ferneren, baumverdeckten Grundes stieg es nochmals hügelig und waldig an. Von dem kleinen See, der unsichtbar links unten lag, von den Kiefern des Grunewalds wehte es angenehm kühl herauf.“

Ein scheinbar fiktives Idyll in der Max-Reger-Straße, von Lion Feuchtwanger beschrieben in seinem Roman „Die Geschwister Oppermann“. Mit ihm setzte er seinem eigenen Haus in der heutigen Regerstraße 8 „ein literarisches Denkmal“, wie es auf der an ihn und seine Frau Marta erinnernden „Berliner Gedenktafel“ heißt.

Das Ehepaar wohnte dort bis zu seiner Emigration 1933, damals war es noch die Mahlerstraße. Erst 1935, zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung des Romans, wurde der jüdische Komponist Gustav Mahler von den Nazis durch seinen „arischen“ Kollegen Max Reger ersetzt – Feuchtwangers Umbenennung der Wohnstraße hatte also geradezu prophetische Qualität.

Zur Geschichte des Romans gehört noch ein weiterer Namenstausch. Oppermann, so hieß auch ein SA-Führer, der Repressionen gegen Feuchtwangers Verwandte androhte, sollte der Roman mit dem geplanten Titel erscheinen. So wurden die Oppermanns in der ersten Ausgabe zu Oppenheims, die Feuchtwanger 1935 wieder zurückverwandelte.

„Münchhausen“ mit Hans Albers in der Titelrolle wurde 1942 anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Ufa gedreht.

© imago images/Mary Evans

Die Episode vom doppelten Namenstausch findet sich im Kapitel „Exilliteratur“ des Buches „Monster Berlin“, mit dem Autor Kai-Uwe Merz – als Fortsetzung seines Bandes „Vulkan Berlin“ über die Zwanzigerjahre – sich diesmal der „Kulturgeschichte der nationalsozialistischen Zeit“ zuwendet. Ein zweifellos weites Feld, die für das Vorhaben gewählte exemplarische Methode lag nahe.

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Im Kapitel „Exilliteratur“ konzentriert sich Merz ganz auf Feuchtwanger und den „Oppermann“-Roman, arbeitet gern aber auch mit Paaren wie im folgenden Abschnitt „Unterhaltungsliteratur“. Dort werden Erich Kästner und Hans Fallada als „Wahl-Berliner, die bleiben“ gegenübergestellt: Hier „Deutschlands Exilschriftsteller honoris causa“, wie Marcel Reich-Ranicki den sich den Nazis nicht andienenden, zunächst weiter in der Schweiz veröffentlichenden Kästner nannte; dort der teilweise doch recht kompromissbereite Fallada, der über seinen 1947 erschienenen Roman „Jeder stirbt für sich allein“ selbstkritisch sagte, es sei „seit Wolf unter Wölfen wieder der erste richtige Fallada geworden“.

Das Buch wurde mehrfach, zuletzt 2015 verfilmt, Vorbild war die Geschichte des Weddinger Ehepaares Otto und Elise Hampel, die Postkarten gegen Hitler ausgelegt hatten, denunziert und hingerichtet worden waren.

Von George Grosz zu Karl Hofer

Die aufs Biografische und dabei die Lebensabschnitte in der NS-Zeit fokussierte Konzeption des Buches mag sinnvoll sein, bedeutet aber zugleich das Akzeptieren mancher Lücken. So widmet sich Merz wohl dem Theater und hier Hermann Görings Protegé Gustaf Gründgens, dessen Lieblingsrolle des Mephisto titelstiftend für den Roman wurde, in dem Klaus Mann sich mit seinem zeitweiligen Schwager auseinandersetzte.

Ausführlich wird auch, exemplarisch für die „Musik“, Wilhelm Furtwänglers Rolle gewürdigt, vor, während und nach der NS-Zeit Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, ebenso die Malerei des 1933 emigrierten George Grosz und des in Berlin ausharrenden Karl Hofer. Das Thema „Skulptur“ handelt Merz am Beispiel der die NS-Zeit nur mit Mühe und Not überstehenden Renée Sintenis und dem von Hitler so überaus geschätzten Arno Breker ab. Vor dem Haus des Deutschen Sports auf dem Berliner Olympiagelände befinden sich noch heute zwei seiner Figuren.

Mephistophelisch. Görings Protegé Gustaf Gründgens in seiner Lieblingsrolle.

© Imago

Dem Film aber, dem Goebbels eine herausragende Rolle zugestand, die Deutschen trotz aller Entbehrungen, militärischen Niederlagen und unentwegten Bombardements bei Laune zu halten, hat Merz überraschenderweise kein eigenes Kapitel zugestanden. Immerhin wird Leni Riefenstahl im Kapitel „Gesellschaft – Frauen im NS-Berlin“ ausführlicher behandelt und Josef von Bákys „Münchhausen“, 1942 gedreht zum 25-jährigen Bestehen der Ufa, wird im Abschnitt „Unterhaltungsliteratur“ zumindest gestreift, war doch dessen Drehbuchautor der offiziell verpönte Erich Kästner.

[Kai-Uwe Merz: Monster Berlin. Eine Kulturgeschichte der nationalsozialistischen Zeit. Elsengold Verlag, Berlin. 256 Seiten, 26 Euro.]

Auch dessen Werke hatten am 10. Mai 1933 auf dem heutigen Bebelplatz gebrannt, dennoch durfte er – so politisch und moralisch suspekt er den Nazis erschien, sein humorvolles Schreibtalent wussten sie zu nutzen – das Drehbuch verfassen, wenn auch nur unter dem Pseudonym Berthold Bürger. Hitler erfuhr davon erst verspätet, tobte – und verhängte ein Schreibverbot.

Hans Albers galt Goebbels als „gottbegnadet“

Drehbuchautor Kästner also ist drin, doch wo bleibt bei Merz der Hauptdarsteller Hans Albers, von Goebbels und Hitler auf der „Gottbegnadeten-Liste“ geführt, gleichwohl der NS-Prominenz gegenüber immer sehr distanziert? Wo bleiben Heinz Rühmann & Co.? Wo Joachim Gottschalk, der die Scheidung von seiner jüdischen Frau verweigerte und stattdessen mit ihr und dem Sohn in den Tod ging?

Kai-Uwe Merz: Monster Berlin. Eine Kulturgeschichte der nationalsozialistischen Zeit.

© Elsengold Verlag, Berlin

„Monster Berlin“ ist also ein mehr punktuell als umfassend erhellendes Buch, doch eines, in dessen Informationsfülle auch ein mit der Materie halbwegs vertrauter Leser manches ihm noch Unbekannte entdecken dürfte. Wer weiß schon, dass die lauschige Waldsiedlung Krumme Lanke in Zehlendorf als SS-Kameradschaftssiedlung entstanden war? Oder dass Feuchtwanger mit der fiktionalen Umbenennung der Mahlerstraße die der Nazis vorweggenommen hatte?

Dem österreichischen Komponisten wurde übrigens später Genugtuung für seine Auslöschung als Namensgeber zuteil: Seit 1951 gibt es in Weißensee eine Mahlerstraße. Und seit 1968 in Steglitz einen Gustav-Mahler-Platz.

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