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Berlin: „Moralische Scharfrichterpositionen“

Streit ums Holocaust-Mahnmal: Peter Eisenman trat für Degussa ein. Dafür griff ihn Lea Rosh an.Wolfgang Thierse kontert mit deutlichen Worten

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hält „moralische Scharfrichterpositionen“ in der Debatte um den Einsatz des Anti-Graffiti-Mittels von Degussa am Berliner Holocaust-Mahnmal für „völlig unangebracht“. Mit diesen Worten konterte er gestern im Gespräch mit dem Tagesspiegel die heftigen Angriffe der Vorsitzenden des Mahnmal-Förderkreises, Lea Rosh, auf den Architekten des Denkmals, Peter Eisenman. Lea Rosh hatte Eisenman am vergangenen Donnerstag wegen seines Eintretens für das umstrittenen Degussa-Präparat angegangen und geäußert: „Wären Eisenmans Eltern in Auschwitz mit Zyklon B ermordet worden, was hätte er dann gesagt?“ Hintergrund des Streits ist die Geschichte der Herstellerfirma. Denn Degussa produzierte im Dritten Reich das in den Gaskammern von Auschwitz eingesetzte Zyklon B.

Als nun in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass die Bauarbeiter am Mahnmal ein Degussa-Mittel zur Imprägnierung der Stelen versprühten, ließ das Kuratorium der Mahnmal-Stiftung unter dem Vorsitz von Bundestagspräsident Thierse alle Arbeiten vorerst unterbrechen – auf Intervention der Jüdischen Gemeinde und anderer empörter Kritiker, aber gegen den Willen des Mahnmals-Architekten. Peter Eisenman, selbst Jude, hielt auch gestern an seiner Überzeugung fest, „dass wir bei der Aufarbeitung der deutschen Geschichte nach vorne blicken müssen“ und es keinen Sinn mache, Degussa zu bestrafen – zumal die Firma viel zur Sühne getan habe. Eisenman: „Wären meine Eltern mit Zyklon B ermordet worden, würde ich nicht anders argumentieren.“ Er kenne noch etliche jüdische US-Bürger, die schwer vergeben könnten und es bis heute nicht über sich brächten, nach Deutschland zu fliegen. Solche Gefühle müsse man akzeptieren, meint Eisenman, aber sie dürften kein Vorbild sein. „Sie sind nicht der Zukunft zugewandt.“

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse rügte dagegen gestern Lea Rosh, weil sie eine „unerwünschte Schärfe“ anschlage. Bisher sei die Auseinandersetzung um das Degussa- Präparat „in der Sache angemessen“ gelaufen, sagte er. Es führe nicht weiter, „sich nun wechselseitig Moralität und Sensibilität abzusprechen“.

Ohnehin gehen die Fronten in der Debatte quer durch die Jüdische Gemeinde sowie durch das Kuratorium des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas. Ratio steht dabei gegen die Verletzbarkeit der Gefühle. Für die einen ist das Stelenfeld der Beginn eines abschließenden Bekenntnisses der Deutschen zu ihren Vergehen – und bedeutet, dass man irgendwann auch vergeben muss. Die Gegenseite sieht im Zusammenhang mit Degussa und Zyklon B eine unüberwindliche emotionale Grenze überschritten. So der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Alexander Brenner. Für ihn ist die Vorstellung „unerträglich“, dass ein Degussa-Produkt am Mahnmal eingesetzt wird.

Das Mahnmal-Projekt provoziere zwangsläufig solche grundsätzlichen Auseinandersetzungen, sagte gestern der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Eckhardt Barthel. Um so wichtiger sei es, „dass beide Seiten fair sind und sich ernst nehmen.“ Barthel ist auch Mitglied des Kuratoriums, war selbst eher gegen einen Baustopp und muss am 6. November wieder Stellung nehmen: Dann will das Gremium entscheiden, wie es auf dem Stelenfeld weitergeht.

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