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Berlin: Muslime: "Die haben Angst - dabei sind wir ganz normale Menschen"

Imam Mohammed Herzog ist alarmiert. In Berlin gebe es eine "Menschenjagd auf Muslime, vor allem auf Frauen".

Imam Mohammed Herzog ist alarmiert. In Berlin gebe es eine "Menschenjagd auf Muslime, vor allem auf Frauen". Nach dem 11. September seien Frauen, die Kopftuch tragen, angespuckt und geschlagen worden, sagt das Oberhaupt der deutschsprachigen islamischen Gemeinde. Probleme mit dem Kopftuch? Frauen auf den Straßen in Schöneberg und Neukölln antworten auf unsere Frage durchgehend: Persönlich haben sie keine wirklich schlimmen Erfahrungen gemacht, vereinzelt aber schon böse Geschichten gehört. Die Leute guckten misstrauischer, vor allem in der U-Bahn und im Bus, sagt die 15-jährige Aycan auf der Potsdamer Straße. "Die haben Angst, dass wir was machen - dabei sind wir ganz normale Menschen, normale Moslems."

Würde sie auf das Kopftuch verzichten, um den Blicken zu entgehen? "Niemals, und wenn man mich umbringen würde", sagt Aycan. Das Kopftuch sei ein religiöses Bekenntnis, "kein Spielzeug". Ist es vielleicht umgekehrt so, dass jetzt mehr Mädchen sich für das Kopftuch entscheiden, aus Solidarität? "Nein, das wäre ja Trotz und keine Überzeugung", sagt eine 20-jährige Bürokauffrau auf der Karl-Marx-Straße. Trotzdem: In Berlin gewinnt man mitunter den Eindruck, dass jetzt in Stadtvierteln mit hohem türkischen Bevölkerungsanteil mehr verhüllte Frauen zu sehen sind. Doch "das ist nichts Neues", entgegnet eine andere. Eine "starke religiöse Bewegung auch unter Frauen" gebe es schon seit einigen Jahren.

Der gewohnte Großstadt-Alltag zwischen Muslimen und Nichtmuslimen also, mit leicht gesteigerter gegenseitiger Aufmerksamkeit? Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne) spricht von einer "zunehmenden Alltagsdiskriminierung". Dramatische Übergriffe seien jedoch nicht bekannt geworden. Das sagt auch die Berliner Polizei, wobei die Innenverwaltung versichert, konkreten Hinweisen solle nachgegangen werden. Die "hässlichen Begegnungen auf der Straße", die Beck auch beklagte, werden wiederum nicht angezeigt. Aycan hat eine wirklich böse Geschichte gehört: Eine Bekannte der Freundin ihrer Mutter soll vor einer Woche am Innsbrucker Platz verprügelt worden sein. Die Polizei weiß nichts davon.

Kopftuch tragende Frauen in journalistischer Mission auf der Straße anzusprechen, führt wider Erwarten zu sehr offenen Begegnungen. Kamile, Adeviye, Aysel und Habibe, Schwestern und Freundinnen, die sich an einer Schöneberger Schule auf das Abitur vorbereiten, haben viel zu sagen. Nur eine trägt ein Kopftuch und will dabei bleiben. "Sie kann doch nichts für die Anschläge", sagt eine Freundin. Mit oder ohne Kopftuch: Jetzt würden alle Ausländer in einen Topf geworfen, meinen sie. Die Mädchen, die die Potsdamer Straße hinuntergehen, fühlen sich allein gelassen von den Erwachsenen in Politik und Medien. Der Ton wird schärfer: "Es könnten genauso gut Christen gewesen sein, die das getan haben." Die Kamikazeflieger auf das World Trade Center - womöglich amerikanische Provokateure? Das nicht, aber in der Schule dächten jetzt, nach den Gegenschlägen auf Afghanistan, auch deutsche Mitschüler so: "Es ist den Amerikanern doch recht geschehen."

Auch das Gespräch mit zwei jungen Frauen auf der Karl-Marx-Straße nimmt eine überraschende Wendung. Beide sind Mitte 20, haben Kinder an der Hand und Mühe mit der deutschen Sprache. Sie seien Hausfrauen und hätten kaum Gelegenheit, mit Deutschen zu sprechen. Probleme aber hätten sie nur mit älteren Neuköllnern. "Die gucken blöde und sagen Ausländer, Türken, raus hier." Ihr Mann sei böse wegen der Angriffe auf Afghanistan. "Er will den islamischen Krieg. Ich sage Nein." Streiten wolle sie nicht mit ihm. Sie hoffe, dass er "nur redet".

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