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Nach aufgelöstem Palästina-Kongress in Berlin: Gericht hebt Verbot politischer Betätigung gegen Chirurgen auf
Die Berliner Behörden lösten im April 2024 den Palästina-Kongress kurz nach dem Beginn auf. Ein Gerichtsurteil nährt nun Zweifel an dem harten Vorgehen.
Stand:
Das harte Vorgehen der Berliner Behörden gegen den umstrittenen Palästina-Kongress im April 2024 hat ein Nachspiel. Das Landesamt für Einwanderung (LEA) hatte gegen drei der zum Kongress angekündigten Redner ein politisches Betätigungsverbot erteilt – in mindestens einem Fall zu Unrecht. Dies entschied das Verwaltungsgericht am späten Montagabend, wie eine Sprecherin dem Tagesspiegel am Dienstag mitteilte.
Mit der Entscheidung erscheint indirekt auch der vorzeitige Abbruch des Kongresses und das Komplettverbot durch die Behörden zweifelhaft. Denn Abbruch und Verbot durch die Polizei erfolgten, als einer der drei Männer, die vom LEA mit einem politischen Betätigungsverbot und von der Bundespolizei mit einem Einreiseverbot belegt worden waren, zu Beginn des Kongresses per Videostream zugeschaltet wurde.
Es war Salman Abu Sitta, der als Kind 1948 aus Nahost fliehen musste, in London die Dokumentationsstelle „Palestine Land Society“ betreibt und Pläne für die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge verfolgt.
Vor seiner Videoschalte nach Berlin hatte er in einem Gastbeitrag auf einer israelfeindlichen Website verkündet, er bewundere die „Courage“ der Hamas-Terroristen, die heldenhaft ihr Land verteidigten. Er wäre selbst wahrscheinlich mit dabei gewesen, wenn er jünger wäre. Der Gazastreifen ist für ihn ein „Konzentrationslager“, das „in Dauer und Größe die Lager in Auschwitz, Treblinka und Dachau“ übertreffe.
Ausländerbehörde beachtete Meinungsfreiheit zu wenig
Mit seinem Videoauftritt beim Palästina-Kongress war der Polizei die Gefahr zu hoch, dass weitere Redner zugeschaltet werden, die „sich schon in der Vergangenheit antisemitisch oder gewaltverherrlichend öffentlich geäußert“ haben – und dann den Holocaust leugnen, Gewalt verherrlichen oder Antisemitismus verbreiten.
Gar nicht erst zu Wort kam dann Ghassan Abu Sittah, Rektor der University of Glasgow, ein britisch-palästinensischer Chirurg, bekannt für seine humanitären Einsätze in Gaza. Auch gegen ihn hatte das LEA ein Betätigungsverbot erlassen. Als Grund hatte die Behörde die Gefahr genannte, Abu-Sittah könnte auf dem Treffen die Terrorattacke der islamistischen Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel glorifizieren und die Vernichtung Israels befürworten. Dagegen klagte er vor dem Verwaltungsgericht – mit Erfolg. Demnach war das Verbot der politischen Betätigung durch die Berliner Behörde rechtswidrig.
Die Bundespolizei hatte aus seinen Internet-Posts den Anfangsverdacht der Volksverhetzung und der Billigung von Straftaten abgeleitet – und ihm deshalb im April 2024 die Einreise am Flughafen BER verweigert. Was nach dem Ausländerrecht möglich sein könnte, reicht aber für ein politisches Betätigungsverbot nicht aus, weil die Meinungsfreiheit berührt ist, entschied das Gericht. Es habe sich nicht um einen eindeutigen Fall gehandelt, das Gericht habe es sich damit nicht leicht gemacht, sagte die Sprecherin.
Chirurg war Zeuge am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag
Ghassan Abu Sittah war nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober bis Mitte November 2023 mit der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ als Chirurg in Gaza. Später berichtete er öffentlich, unter welchen Bedingungen er als Chirurg in Krankenhäusern in Gaza operieren musste: schlechte Hygiene und Mangel an Narkose- und Schmerzmitteln für Menschen, die durch Bomben des israelischen Militärs schwer verletzt worden waren. Anfang 2024 war er auch als Sachverständiger vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angehört worden.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts hat Abu Sittah zwar in der Vergangenheit und vor dem Terrorangriff der Hamas durchaus Sympathien für Terrororganisationen wie die islamistische Hamas oder die eher sozialistische Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) bekundet. Doch nach dem 7. Oktober 2023 habe er weder Inhalte mit strafrechtlicher Relevanz noch Äußerungen verbreitet, die sich als Unterstützung für Hamas und PFLP einordnen ließen.
Betätigungsverbot unverhältnismäßig
Die Berliner Ausländerbehörde habe das Betätigungsverbot fehlerhaft verhängt, denn sie habe die Meinungsfreiheit und seine Stellung als Zeitzeuge nicht ausreichend beachtet. Es sei daher nicht zu erwarten gewesen, dass Abu Sittah beim Palästina-Kongress mit seinen Redebeiträgen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet oder Straftaten begangen hätte.
Seine Auftritte seit den Hamas-Angriffen stützten die Gefahrenprognosen der Behörden nicht. Selbst wenn die Gefahr bestanden hätte, wäre das Betätigungsverbot unverhältnismäßig gewesen. Abu-Sittahs Anwalt hat laut Sprecherin von Gericht erklärt, dass der Chirurg die Hamas-Anschläge weder gebilligt noch gutgeheißen habe. Seine Kritik an israelischen Angriffen auf Kliniken, bei denen zahlreiche Kinder getötet wurden, seien von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Das Verwaltungsgericht ließ gegen das Urteil die Berufung nicht zu, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Das Land Berlin kann binnen eines Monats aber die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) beantragen.
Die Polizei hatte den Veranstaltern damals Beschränkungen auferlegt: kein Hass und keine Hetze gegen Israel und Menschen, kein Bejubeln des Terrors der islamistischen Hamas und des Massakers vom 7. Oktober 2023, keine Relativierung des Holocaust, keine Symbole von Terrororganisation wie Hamas oder PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas), kein Verbrennen von Fahnen und Puppen.
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte nach dem Verbot, es hätte sich die Einschätzung der Behörden bestätigt, „dass es nicht um eine kritische Diskussion über israelische Politik geht, sondern um die Vernetzung von israelfeindlichen und antisemitischen Personen und Gruppen.“ Sie sprach zudem von einer beschämenden Veranstaltung.
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