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Moderat reicht aus. Wer sich beim Walken noch unterhalten kann, macht es richtig.

©  dpa/Uli Deck

Nach einem Herzinfarkt: Wer rastet, riskiert sein Leben

Eine neue Leitlinie rät: Nach einem Herzinfarkt muss man sich bewegen! Das beugt Gefäßverengungen vor. Ein Präventionsprojekt zeigt, wie Betroffene sich dazu im Alltag motivieren können.

Wie neu geboren: Wäre Andreas M. ein Mann der großen Worte, dann würde er seinen Zustand so beschreiben. Der 61-Jährige hat einen Herzinfarkt überstanden, er hat sich nach diesem Schock das Rauchen abgewöhnt. Während der Reha hat er einiges über die „herzgesunde“ mediterrane Kost mit viel Gemüse, Obst und Vollkornprodukten gelernt. Er möchte gern weiter abnehmen, deshalb wird er versuchen, das Gelernte auch im häuslichen Alltag umzusetzen.

Immer häufiger geht es nach einem Herzinfarkt derart glimpflich aus. Immer häufiger kommt es trotz erster Gefahrenzeichen gar nicht erst zum Infarkt. „Die Senkung der kardiovaskulären Mortalität in den letzten drei Jahrzehnten ist mindestens zur Hälfte auf eine Reduktion der Risikofaktoren in der Bevölkerung zurückzuführen, vor allem auf eine Senkung des Cholesterinspiegels, der Blutdruckwerte und der Raucherzahl“, heißt es in der Leitlinie der Europäischen und der Deutschen Fachgesellschaft für Kardiologie zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der guten Nachricht folgt jedoch in diesem Papier eine weniger positive auf dem Fuß: „Dieser günstige Trend wird aber zum Teil von einem Anstieg bei anderen Risikofaktoren zunichte gemacht, wie zum Beispiel Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2“.

Spätestens an diesem Punkt ist eine weitere Empfehlung zu erwähnen, die nach einem Infarkt besonders wichtig ist: Die Autoren der Leitlinie haben aus unzähligen wissenschaftlichen Studien den Rat herausdestilliert, sich 150 Minuten in der Woche mit „moderater Intensität“ zu bewegen oder 75 Minuten einem sportlichen Training von höherer Intensität zu widmen. Unterscheiden lässt sich beides, wenn man den „Talk-Test“ macht: Wer sich dabei gut unterhalten kann, joggt oder radelt oder walkt „moderat“.

Die Auswirkungen auf die Gefäße sind jetzt viel besser erforscht

Dass körperliche Bewegung vielfältigen Gewinn für Gesundheit und Wohlbefinden bringt, ist keine Neuigkeit. Warum sie speziell für Menschen mit verengten Herzkranzgefäßen nützlich ist, können sich Herzspezialisten immer besser erklären. So hat sie Auswirkungen auf die innere Gewebeschicht, mit der Blutgefäße ausgekleidet sind, von Medizinern als Endothel bezeichnet. Wer sich körperlich verausgabt, sorgt dafür, dass diesem Gefäßinneren mehr Stickstoffmonoxid zur Verfügung steht. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie weist auch darauf hin, dass Sport dazu beiträgt, den Herzmuskel bei einer koronaren Herzkrankheit besser zu durchbluten. Wie eine neuere Studie zeigt, klappt das, weil die „Umgehungsstraßen“ für eingeengte Herzkranzgefäße erfolgreicher ihren Dienst tun.

Noch wichtiger ist aber möglicherweise eine andere neue Untersuchung. Denn sie liefert Antworten auf die Frage, wie man Herzpatienten praktisch dazu motivieren kann, auch nach der Reha sportlich am Ball zu bleiben. „Kurz nach einem Infarkt sind sie meist so schockiert, dass sie für Ratschläge zur Lebensstiländerung offen sind“, sagt Harm Wienbergen vom Bremer Institut für Herz- und Kreislaufforschung (BIHKF) am Klinikum Links der Weser. Doch wie kann man dafür sorgen, dass die Veränderungen nachhaltig sind?

Zusammen mit Kollegen aus Oldenburg hat Wienbergen für die IPP-Studie („Intensives Präventions-Programm nach akutem Myokard-Infarkt in Nordwest-Deutschland“) Menschen, die einen Infarkt durchgemacht hatten, in zwei Gruppen geteilt. Die einen bekamen nach der Reha kein besonderes Angebot, die anderen wurden mit Schrittzählern ausgestattet, dokumentierten ihre Ergebnisse täglich online und bekamen darauf hin ein persönliches Feedback. Zudem wurden sie einmal im Monat zu Fortbildungen eingeladen und regelmäßig telefonisch kontaktiert. Außerdem bekamen ihre Hausärzte eine schriftliche Empfehlung für die Behandlung – mit der auch zugleich medikamentös weiteren Infarkten vorgebeugt werden soll.

Wer sich mit anderen verabredet und Termine setzt, bleibt am Ball

75 Prozent der 122 Teilnehmer der Gruppe mit diesem Programm schrieben an jedem Abend auf, wie viele Schritte sie getan hatten. Bei denen, die das ein halbes Jahr lang zuverlässig taten, nahm die Zahl der täglichen Schritte im Lauf der Zeit deutlich zu: Von anfangs knapp 7500 Schritte kamen sie im Schnitt auf über 9000 Schritte. „Es war also zumindest bei dieser Studiengruppe nicht so, dass mit zunehmendem zeitlichem Abstand vom Infarkt die körperliche Aktivität wieder vernachlässigt wurde“, stellt Wienbergen mit Freuden fest.

Nach einem Jahr Laufzeit des Programms wurden alle, die mitgemacht haben – die Teilnehmer waren im Schnitt 57 Jahre alt und zu 80 Prozent Männer – zur Untersuchung beim Kardiologen gebeten. „Dabei konnten wir feststellen, dass es bei den wichtigen Risikofaktoren Rauchen, hohes LDL- Cholesterin und Übergewicht einen hochsignifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen gab“, freut sich Wienbergen über den Erfolg des Präventions-Programms. Eine weitere Auswertung soll demnächst zeigen, ob der Erfolg nach zwei Jahren noch immer anhält. Und ob eine Auffrischung von Programm-Teilen Sinn macht.

Über seine Fachgesellschaft möchte Wienbergen solche Programme nun auch in anderen Regionen des Landes anstoßen. Auch so lassen sich aber für alle, die nach dem einschneidenden Erlebnis eines Infarkts ein bewegteres Leben führen möchten, aus der Studie Empfehlungen ableiten: Wer sich zum Sport verabredet, sich eine Herzsportgruppe sucht und sich Termine setzt, bleibt mit größerer Wahrscheinlichkeit am Ball. Schrittzähler motivieren, immer wieder auch auf eigene Faust loszugehen. „Man sollte sich dabei realistische Ziele setzen, um sich nicht selbst zu entmutigen. Und es hilft, sich mit Hometrainern und ähnlichem ein Stück weit vom Wetter unabhängig zu machen.“ Dann eignen sich Wind, Regen und Schnee nicht mehr als Ausrede.

Ausführliche Informationen zu den Themen „Herz, Kreislauf und Gefäße“ bietet der nächste große Gesundheitsratgeber des Tagesspiegels. Das Magazin erscheint am 22. Februar.

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