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In der JVA Plötzensee verbüßten im Jahr 2017 rund 2000 Männer eine Ersatzhaft, 740 davon waren notorische Schwarzfahrer.

© Paul Zinken/dpa

Nach Entweichungen aus JVA Plötzensee: Richterbund befeuert Debatte um Ersatzhaft

Die Ersatzfreiheitsstrafe für Schwarzfahrer bleibt umstritten. Selbst beim rot-rot-grünen Senat herrscht keine Einigkeit. Dabei ist die Debatte nicht neu.

Rot-Rot-Grün hatte sich schon im Koalitionsvertrag nicht darauf einigen können. Eine Festlegung, Knast für Schwarzfahrer – offiziell: Ersatzfreiheitsstrafe Erschleichen von Leistungen – über eine Bundesratsinitiative abzuschaffen, gibt es nicht. Das war am Widerstand der SPD gescheitert.

Nachdem nun mehrere Insassen des offenen Vollzugs aus der Haftanstalt Plötzensee entwichen waren, hat der Deutsche Richterbund die Debatte um die Abschaffung erneut befeuert. Verbandschef Jens Gnisa forderte, Schwarzfahren als Tatbestand im Strafgesetzbuch zu überprüfen.

Um die Justiz zu entlasten, sollten deshalb die Verkehrsbetriebe selbst mehr Vorkehrungen gegen Schwarzfahrer treffen, etwa durch Zugangskontrollen.

83 Prozent der Urteile sind Geldstrafen

Die Debatte ist nicht neu, doch in der Politik hat sich wenig getan. So war Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linke) im Frühjahr 2016 als Vorsitzender der Justizministerkonferenz mit einem entsprechenden Vorstoß gescheitert. Er hatte eine generelle Abkehr von der Ersatzfreiheitsstrafe gefordert. Die sei rechtspolitisch bedenklich und sozial ungerecht.

Rund 83 Prozent der von den Gerichten verhängten Urteile sind nach Daten des Bundesjustizministeriums Geldstrafen – für Schwarzfahren, Betrug, Straßenverkehrs- und Eigentumskriminalität, teils für Bagatellen. In rund sieben Prozent der Fälle zahlen Verurteilte die Geldstrafe nicht.

Seit Einführung der Ersatzhaft hat sich nach Angaben des Bremer Kriminalwissenschaftlers Johannes Feest der Anteil an allen verhängten Haftstrafen verdreifacht. Aktuell sitzt fast jeder zehnte Inhaftierte eine Ersatzfreiheitsstrafe ab. Aus Sicht des Justizministeriums in Potsdam ist daran eines problematisch: Auch eine unverschuldete Zahlungsunfähigkeit von Verurteilten führt zu Freiheitsentzug – obwohl das Gericht die mildere Geldstrafe als ausreichend erachtet hat.

740 Schwarzfahrer in Plötzensee

Allein in der Haftanstalt Plötzensee verbüßten im Jahr 2017 rund 2000 Männer eine Ersatzhaft, 37 Prozent – also 740 – davon waren notorische Schwarzfahrer. Das dürften etwa auch die Gesamtzahlen in Berlin sein, da die meisten Betroffenen laut Justizsenatsverwaltung ohnehin ihre Ersatzhaft in Plötzensee starten.

Für andere Haftanstalten – und für Frauen – liegen keine genauen Zahlen vor. Die 740 Männer sind wiederholt ohne Ticket mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren, können oder wollen die danach von Gerichten verhängte Geldstrafe nicht zahlen – und kommen deshalb in Ersatzhaft.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) steht dem Vorschlag des Richterbundes offen gegenüber – einen eigenen macht er nicht, weil dazu in der Koalition keine Einigkeit besteht. Doch seine Position hatte er schon vor Amtsantritt im Dezember 2016 klargemacht: Schwarzfahren nicht mehr als Straftat, sondern nur als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.

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Das hat im September auch der Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Peter Biesenbach (CDU), gefordert. Soweit geht nicht einmal Rot-Rot-Grün in Berlin. Für Sven Kohlmeier, Rechtsexperte der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist Schwarzfahren wie Betrug. Die Ersatzhaft träfe nur jene, die wiederholt ohne Ticket mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren – und die Geldstrafe nicht zahlen wollen oder können.

Auch bei einer Ordnungswidrigkeit könnte es zur Erzwingungshaft kommen: wenn die Betroffenen das Bußgeld nicht zahlen wollen. „Wenn der Staat eine Buße verhängt, muss er sie auch durchsetzen, sonst braucht er sie nicht zu verhängen.“ Er sehe aber auch die soziale Frage: Alternativ könne er sich auch einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr vorstellen.

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