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Bertold Just (1963-2018)

© Thilo Rückeis

Nachruf auf Bertold Just (Geb. 1963): Selbstvergessen

Die Fassade des Berliner Schlosses war die Aufgabe seines Lebens. Leider konnte er als Chef kaum noch selbst Hammer und Meißel zur Hand nehmen.

Wenn es dann fertig ist, das Berliner Schloss mit seinen monumentalen Skulpturen, mit der schmucken, neu gezimmerten Barockfassade, wenn die Besucher durch den Hof strömen und sich nicht sattsehen können an der Pracht, dann wird einer fehlen. Bertold Just, groß, schlank, mit grauen Inseln im dunklen Haar. Wenn er lachte, schob er den Unterkiefer ein wenig nach vorne. Wenn er sprach, dann mit Ruhe und Bedacht.

Die Fassade des Berliner Schlosses, das war „sein Lebenswerk, seine Lebensaufgabe“, so sagt es sein engster Kollege. Schaut man sich Fotos und Videos von Bertold Just an, wie er vor den überlebensgroßen Gipsskulpturen steht und Interviews gibt, ahnt man etwas von diesem immensen Wissen über die längst vergangene Zeit des Barock, man spürt etwas von dieser immensen Hingabe an seine Arbeit, an dieses Projekt, dem er acht Jahre seines Lebens gewidmet hat.

Und keiner hätte es ihm übelgenommen, wenn er damit auch ein bisschen angegeben hätte. Doch so war er nicht. Stolz ja, aber nicht im Sinne von stolzieren. Lieber sprach er von Früchten, die er ernten wolle, von Köpfchen und Handwerk, das man brauche, vom Überblick, den er als Leiter der „Schlossbauhütte“ behalten müsse. War zurückhaltend und freundlich, war viel lieber für andere da, als sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Er war ja nur „der Leiter“, die Arbeit machten die anderen. Und wenn es einen Rückschlag gab, wenn es mal schwieriger wurde, sagte er: „Schmerz vergeht, Arsch besteht.“

In der „Schlossbauhütte“ entstehen die Modelle für die Skulpturen und Fassadenelemente, Adler, Schutzheilige, geflügelte Gestalten, die dann von anderen Firmen in Sandstein gehauen werden. Nur eines bedauerte Berthold Just, Fels in der Brandung, Schulter für alle, dass er selbst kaum noch Hammer und Meißel in die Hand nahm.

Bilder aus der Vergangenheit: Familienwinterurlaub im Harz, der Ofen bullert, draußen liegt der Schnee, er, sein älterer Bruder und seine jüngere Schwester sitzen beisammen und malen die Skifahrer vor dem Fenster. Dann Bert in seinem Keller im Elternhaus in Johannisthal, gleich an der Mauer. Da sitzt er am Schreibtisch, zeichnet und hört dabei klassische Musik. Vom Fuß seiner Schwester nimmt er Gipsabdrücke, mit seinem Bruder kopiert er die Werke berühmter Maler, Pinselstrich für Pinselstrich. Einen lebensgroßen Napoleon malt er, Öl auf Leinwand. Bert und die Harmonie, die Schönheit, das passt einfach. Was nicht so passt: Bert und die Schule. In Französisch eine fünf, dafür sind seine Hefte mit den schönsten Comics vollgezeichnet.

Bei der Armee hat er Lenin-Büsten restauriert

Samstags geht es auf die Baustellen des Vaters. Der ist Bauingenieur und Statiker, verantwortlich für die Rekonstruktion des Konzerthauses, beteiligt am Bau des Palastes der Republik. Der Vater baut den Volkspalast, der Jahrzehnte später für das Schloss weichen muss, an dem sein Sohn mitwirken wird. Nach der zehnten Klasse macht Bert eine Lehre als Stuckateur, dann eine zweite als Bildhauer. Er ist so vertieft in sein Tun, dass man ihn selbst in der Mittagspause vor seinen Skulpturen und nicht vorm Bohneneintopf findet. Bei der Armee ist er nicht im Schlamm gekrochen, sondern hat Lenin-Büsten restauriert. Später, im Winter und in Weimar, verkauft er selbst modulierte Büsten von Goethe und Schiller. Das ist auch die Zeit, als er sein Herz vergibt.

Sie studiert Modedesign, ist ein Jahr jünger als er und findet ihn kein bisschen attraktiv. Er lädt sie zum Aktzeichnen der Bildhauerlehrlingsgruppe ein, er schickt ihr Blumen, führt sie zum Essen aus, bringt sie nach Hause und verabschiedet sich mit einem Kuss auf die Wange. Da verliert auch sie ihr Herz. Sie ziehen zusammen; er muss jetzt immer damit rechnen, in eine ihrer Nadeln zu treten, die überall in der Wohnung liegen. Bert baut Laufstege für sie, übernimmt Büroarbeiten, geht weiter seinen Dingen nach, ein Leben in Arbeit, mal jeder für sich, mal gemeinsam. Manchmal, an einem seltenen freien Tag, gehen sie paddeln, eine Flasche Wein, ein Tag auf dem Wasser.

Und dann, von jetzt auf gleich, ohne dass er sich je intensiv mit dem Thema Sterben auseinandergesetzt hätte, bekommt er Fieber. Nicht so schlimm, sagt er. Geht wieder weg, sagt der Arzt.

War es der Stress, der hohe Anspruch beim Schlossbau? War es, weil er immer allen half und sich dabei selbst vergaß? In seinem Auto findet sich eine Karte, auf der groß und rot das Wort „Nein“ steht, eine Mahnung an sich selbst.

An einem Montagabend findet seine Frau ihn in der Wohnung, tot. Das Berliner Schloss, sein Lebenswerk, wird er vollendet nicht mehr sehen können.

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