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Christa Maerker

© Paolo Faussone

Nachruf auf Christa Maerker: Frage nie im Glauben, die Antwort schon zu wissen

Sie wollte sich an niemanden auf Dauer binden. Was sie wollte: Menschen zum Sprechen bringen.

Sie wusste, was sie wollte. Schon als Kind. Ihre Schwester fragte, wann darf ich wieder ins Haus? Sie fragte, wann darf ich wieder raus? Es gab so viel zu entdecken. Erst recht im Radio. Der Kinderfunk brachte die große weite Welt ins kleinste Zimmer. So hörte sie zum ersten Mal von Pater Damian, dem Engel der Leprakranken, der schließlich selbst auf Hawaii an Lepra starb. Über ihn würde sie berichten. Eines Tages.

Wer die Welt kennenlernen will, muss die Menschen kennenlernen. Dafür braucht es kein Studium. Christa ging zum „Spandauer Volksblatt“ und begriff schnell, was das Wichtigste im Leben ist. Unabhängigkeit. Sie wollte sich an niemanden auf Dauer binden. Was sie wollte: Menschen zum Sprechen bringen. Was nicht einfach ist. Eines ihrer interessantesten Interviews führte sie mit Irmgard Keun.

Die große Autorin der dreißiger Jahre, lange vergessen, kurz vor ihrem Tod wiederentdeckt. „Ich will so ein Glanz werden, der oben ist.“ Dieser Schwur des „Kunstseidenen Mädchens“, das sich sein eigenes Leben erschaffen will, klingt in den Ohren einer Frauenrechtlerin schon recht modern. Aber nicht kämpferisch genug, wie Christa unterstellte. „Sie hat Humor wie ein dicker Mann“, zitiert sie Kurt Tucholsky und fragt Irmgard Keun, ob die Männer denn alle so herablassend ihr gegenüber gewesen seien. Von wegen, schnauzt da Irmgard Keun und komplettiert das Zitat: „Sie hat … Grazie wie eine Frau, Herz, Verstand und Gefühl“, und weiter habe Tucholsky festgestellt, sie sei etwas, „was es noch niemals gegeben hat: eine deutsche Humoristin“.

Und manchmal starke Paare

Keun belehrt ihre Interviewerin: Es gab keinen Geschlechterkampf seinerzeit. Nicht zwischen klugen Frauen und klugen Männern. Denn kluge Frauen waren schon immer emanzipiert. Christa Maerker begriff in diesem Gespräch: Frage nie im Glauben, die Antwort schon zu wissen. Sie wollte unbedingt die Feministin in Irmgard Keun entdecken, was die knurrig werden ließ, weil sie den Feminismus längst hinter sich gelassen hatte.

Es gibt starke Frauen und starke Männer, und manchmal starke Paare, bei denen mal der eine, mal die andere die Oberhand hat, wie bei Richard Burton und Elisabeth Taylor, über die sie ebenso ein Buch schrieb wie über Arthur Miller und Marilyn Monroe. Die Liebe ist ein geschlechterübergreifender Wahnsinn. Christa Maerker selbst blieb da lieber auf Abstand. Zu nah ließ sie selten Menschen an sich heran. Sie liebte Elvis Presley und Marlon Brando, auf vernünftige Weise, sie schätzte Keith Richards sehr, den sie auf der Berlinale traf, wo sie als Prominentenbetreuerin unentbehrlich war.

In ihrem Adressbuch versammelten sich mehr Stars als in Cannes und Venedig. Ausgerechnet dieses Adressbuch wurde ihr in Berlin gestohlen, aus der Tasche gezogen, im Café. Dem trauerte sie lange nach. Ansonsten war da wenig, was sie bereute.

Sie selbst hatte schon als junge Frau immer ein Rudel Männer um sich, sodass sie frei wählen konnte. Ihre Wohnung war ihr Büro, die „Paris Bar“ ihr zweites Zuhause. Sie war gern unterwegs, in Amerika, auf Hawaii – weil überall Geschichten auf sie warteten. Leider mussten die Redakteure immer erst davon überzeugt werden, was viel mühseliger war, als sie es sich in ihrem Enthusiasmus erwartete. Sie war arglos in ihrer Begeisterung, aber wie sonst hätte sie ihre Begeisterung bewahren können?

Sie rauchte gern und viel. Sie verzichtete konsequent auf Sport, aber nie auf ihren Friseur. Ärzten traute sie wenig zu, erst recht, als sie die empörende Diagnose „fortschreitende Demenz“ erhielt. Über ein Jahr zog sich das hin, betreut von ihrem Freund und ihrer Schwester, die Erinnerungen schwanden, die Sprache, es war trauriger für die anderen als für sie selbst, die wieder Kind wurde. Kakao und Marmeladentoast, mehr brauchte es nicht für ein Lächeln. Sie vergaß alles, was sie in ihrem Leben geschaffen hatte. Das tat ihr nicht weh. Was wehtut, ist der Gedanke, dass die meisten ihrer Arbeiten unzugänglich in Archiven begraben sind. Denn: Sie war, was sie tat.

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