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Gerhard Kutzner

© privat

Nachruf auf Gerhard Kutzner: Sprüche klopfen ging gut

In seinem Flur hingen drei Spielautomaten. Da saß er dann, immer noch sauer, und warf sein Geld ein

Gerhard landete in Santiago de Kuba. Seine Tochter studierte dort, morgen hatte sie Geburtstag, also musste er sie besuchen, das war ja mal klar. Wo sie wohnte, wusste er nicht, eine Telefonnummer hatte er nicht. Englisch oder Spanisch sprach Gerhard auch nicht. Er fragte sich trotzdem durch, so wie es seine Art war, breites Grinsen, laute Stimme. Schnell war jemand gefunden, der in der DDR studiert hatte. Zusammen überlegten sie: Sicher wohnte die Tochter in einem Wohnheim für Studenten aus dem Ausland. Stunden später meldete sich der Wohnheimportier bei Janine: Da stehe ein Mann vor dem Tor und wolle sie sprechen...

„Typisch Papa“, dachte Janine und zeigte ihm ihr kleines Zimmer mit den Doppelstockbetten, stellte ihm ihre Mitbewohnerinnen vor. „Das ist ja kein Zustand“, sagte Gerhard. „Ihr packt jetzt alle eure Sachen. Wir fahren in mein 5-Sterne-Hotel und wohnen dort!“

Gerhard war LKW-Fahrer, in der DDR ein angesehener Beruf. Man kam herum. Und dann fiel hin und wieder etwas von der Ladefläche, das man gut selber nutzen oder tauschen konnte. Auch wurde man höflich gebeten, ausnahmsweise mal am Samstag zu fahren. Niemand kontrollierte, wo man anhielt, warum es eine Stunde länger dauerte. Gerhard liebte das, hier noch ein Kaffee, dort noch eine Sehenswürdigkeit, schön langsam auf der Landstraße über die Dörfer und schauen, ob es was zu schauen gibt und am Abend mit den Kollegen klönen.

Und los ging die Sause

Seine Frau lernte er auf einer Feier kennen. Keine große Romantik, was sie verband, war die Lust aufs Feiern. Er besorgte die Getränke, Nachbarn kamen, Freunde, ständig war die Bude voll oder der Hinterhof, dann legte sie Platten auf und los ging die Sause. Sie wollten was aus sich machen, organisierten sich schöne Möbel, machten schöne Reisen, nach Polen in die Masuren etwa. Anfang der 1980 kam Janine auf die Welt.

Was Gerhard aber fehlte, war das Zärtliche, der Zugang zu Gefühlen. Sprüche klopfen ging gut, sagen, dass er jemanden liebt, weniger. Vielleicht lag das ja daran, dass seine eigene Mutter gestorben war, als er fünf war. Sein Vater gab ihn dann unter der Woche in ein Heim, fürs Wochenende holte er ihn ab. Jahrelang ging das so. Gerhard sagte später nur, dass das Heim vernünftig war. Schließlich setzte der Vater eine Annonce auf, und Stiefmutter Hilde kümmerte sich liebevoll um den Jungen.

Der Fernfahrer Gerhard wollte auch Kaffee und Bananen und all die schönen Sachen aus dem Westen. Als der Westen dann aber kam, verlor er seinen Job, saß zuhause auf der Couch. Seine Frau fand Arbeit, ausgerechnet drüben, im Westteil der Stadt. Kam sie nach Hause, saß Gerhard immer noch auf der Couch, im Abwasch stapelte sich das Geschirr. Ein Jahr machte sie das mit, dann war ihre Geduld erschöpft. Gerhard zog es den Boden unter den Füßen weg. Das hatte er nicht kommen sehen, seine Familie und er sollten nicht mehr dabei sein dürfen?

Gerhard kümmerte sich um seine Tochter, keine Frage, aber weniger als Vater, mehr als Kumpel. Als er wieder Arbeit hatte, nahm er sie in seinem LKW mit, dann gab es Milch aus Tüten, Pommes an der Raste, sie schliefen im Führerhaus, und immer wieder hielten sie an, stiegen aus und sahen nach, wenn es was zu sehen gab. Doch er stritt auch für sein Leben gerne. Vielleicht fühlte er sich dann besonders lebendig. Wenn niemand anderes da war, stritt er halt mit seiner Tochter, über die Welt, die Politik, die Mutter. Und Janine lernte, zurück zu streiten.

Später lud er sie und ihre Freunde ein, im VW-Bus mit an die Ostsee zu fahren. Da saßen sie dann am Strand, tranken Bier, das er gekauft hatte und hatten den Spaß ihres Lebens. Oder er kutschierte alle nach Prag. Mit den Jahren wurde das ein Ritual: einmal im Jahr ging es ins Nachbarland, Janine, ihr Vater und alle Freunde, feiern, tanzen, essen. Immer dieselben Bars, Clubs und Restaurants. Mit Janine fuhr er in die USA, nach England, nach Spanien. Immer war da noch was Neues, das er sich ansehen wollte.

Unkorrekt gegen Kapitalismus und Sexismus

Dreimal in der Woche war Kneipenzeit. Als Hertha-Fan musste er logischerweise in eine Union-Kneipe, hier hatte er seine Kumpels, mit denen er sich am besten streiten konnte. Hier war die Barfrau, die er sehr mochte. Gerhard war auch derjenige, der Konzerte raussuchte, Tickets kaufte und alle Freunde aus der Kneipe mit seinem VW-Bus dorthin kutschierte. Der Reisen organisierte, nach Polen, um Zigaretten zu kaufen, auch mal nach Ägypten oder auf Kreuzfahrt über die Donau.

Am liebsten stritt er aber immer noch mit seiner Tochter. Klingelte einfach, setzte sich auf die Couch, brachte den Enkelkindern zentnerweise Süßigkeiten mit, machte sich ein Bier auf und legte los. Die Regierung, die Grünen, die verdammten Masken. Riss Sprüche, je unkorrekter, desto besser. Aber er hatte immer einen Stapel Aufkleber dabei, gegen Nazis, gegen Ausbeutung, Kapitalismus und Sexismus, die er überall anbrachte. Seine Tochter ließ ihn nichts durchgehen, und manchmal, wenn sie sich gezofft hatten, Gerhard sauer war, tauchte er ab und ging auch nicht ans Telefon.

Gerhard war kein Messie, aber wegschmeißen konnte er auch nichts. Seine Wohnung war vollgestopft mit allen Dingen, die sich über die Jahrzehnte ansammeln. Im Flur hingen drei Spielautomaten. Hier saß er dann manchmal, immer noch sauer, warf sein Geld ein und spielte. Wenn er fertig war mit Sauersein, stand er einfach wieder vor Janines Tür und tat, als ob nichts gewesen sei.

Als Gerhard sich im März wieder nicht meldete, dachte sich Janine nichts dabei. Als er bei einem geplanten Tantenbesuch nicht auftauchte, rief sie ihn an, sprach auf den Anrufbeantworter, wieder und wieder, wütender und wütender. Zuletzt stand sie vor seiner Tür, mit Polizei und Schlüsseldienst, rief ihn noch einmal an, sagte auf den AB, dass das jetzt die letzte Chance sei, die Tür zu öffnen.

Die Urne schmückten sie mit seinen Lieblingsmagneten, auf dem einen ist eine barbusige Frau mit zwei Biergläsern drauf, auf der anderen eine DDR-Flagge und die Aufschrift „VEB Perfekt“. Als sie die Urne ins Loch lassen wollten, passte sie erstmal nicht rein. „Typisch Papa“, sagte Janine, und alle mussten lachen.

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