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Nachruf auf Jürgen Krejcik: Willkommen war, wer ihm gefiel

Als er in den Westen ging, sehnte sich der Sohn nach ihm. Und tröstete sich: Mein Vater hat dort eine Bar!

Er wurde 77 Jahre alt. Todestag und Geburtstag sind eins. Wer auf den Zauber der Zahlen, insbesondere der Glückszahl 7 vertraut, kann daraus nur folgern, dass Jürgens Leben ein rundum erfülltes war. Und das war es.

Jürgen wuchs in Wernigerode auf, mit zwei Geschwistern, in einem Haus, wo es nie an etwas mangelte. Im Garten und den Wiesen der Umgebung sammelten die Bienen den Honig, aus den Wäldern kam das Wild, und der Vater, Gemütsmensch und Koch aus Leidenschaft, tischte alles auf, was es gab an Leckereien. Und auch wenn die Kinder ansonsten alle Freiheiten hatten, bei Tisch mussten sie stets pünktlich erscheinen. Ob Jürgen ihm damals bei der Küchenarbeit half und schon in Kindertagen das Servieren übte, ist nicht überliefert. Aber sein Berufswunsch stand früh fest: Kellnern in der gehobenen Gastronomie.

Jürgen wuchs zu keinem sehr großen Mann heran, aber er roch gut, sah blendend aus und war äußerst charmant. Für die Frauen allerdings war er früh verloren - nachdem er einen Sohn gezeugt hatte. „Wenn die Helga von dir ein Kind kriegt, musst du sie auch heiraten“, war die familiäre Weisung, obwohl auch Helga schnell klar war, dass Jürgen eigentlich Männer liebte. So dauerte es auch nicht lange bis zur Scheidung, die sehr freundschaftlich verlief.

Gutes Geld in der Kamin-Bar, auch Devisen

Jürgen absolvierte seine Ausbildung im Hotel „Heinrich Heine“, ein Spitzenhotel damals, in dem häufig Politprominenz verkehrte. Er empfahl sich durch sein diskretes Auftreten und fand schnell eine Anstellung im neu erbauten „Panorama-Hotel“ in Oberhof, wo sich alle Welt zum Wintersport traf. Als Barchef in der Kamin-Bar verdiente er viel Geld, auch Westdevisen, und er lernte viel über die Menschen, ohne dass er ihnen je etwas übel nahm. Jürgen war nie herablassend, denn er mochte, was er tat. Und er wollte dort arbeiten, wo er Gäste traf, die seine Arbeit zu schätzen wussten.

Oberhof wurde ihm bald zu klein, und so zog er nach Ost-Berlin, fand eine Anstellung im Nobelhotel „Berolina“, traf einen Mann, den er liebte, und der ihm die Chance auf ein ganz neues Leben eröffnete. Im Kofferraum eines afrikanischen Diplomatenwagens passierten die „Republikflüchtlinge“ den Checkpoint Charlie. Was jeden von ihnen 20.000 DM kostete, die es in den Folgejahren abzubezahlen galt. Kein ganz einfaches Problem für Jürgen, obwohl in West-Berlin schon Großtante Gerda auf ihn wartete - und jede Menge Arbeit.

Die Familie zurückzulassen fiel ihm schwer. Er vermisste seinen Sohn, und der Sohn sehnte sich nach seinem Vater. In den kommenden Jahren erhielt André Postkarten aus allen Ecken der Welt, viele Geschenkpakete, sie führten unzählige Telefonate, aber ein erstes Wiedersehen gab es erst zwölf Jahre später. Wachsam beäugt von der Stasi, die Mühe hatte, Jürgens schnellem Auto zu folgen. „Mein Vater hat eine Diskothek“, tröstete sich der Sohn derweil, „eine Bar und ein Restaurant in West-Berlin. Mehr große Welt ging nicht in der kleinen Thüringer Welt.“ Und nichts daran war geflunkert.

Kaum im Westen angekommen, fand Jürgen eine Anstellung als Kellner im Grill des Hotel Kempinski, wo er Maria Callas, Zarah Leander, Herbert von Karajan und all die anderen Prominenten traf, die er diskret bei Tisch oder an der Theke umsorgen durfte – gegen eher bescheidene Honorierung. Aber sein Geschick fiel schnell auf, sein Charme und seine Verschwiegenheit nicht minder, und so wurde er als Bar-Chef in den „V.I.P. Club“ befördert, nach hoch oben, in die 20. Etage des „Europas Centers“.

„Schatulle“ - „Polo Bar“ - „Bar Geinsbourg“

Nicht alle, aber viele der Gäste dort wurden zu Freunden, und so war es kein großes Wagnis, als er mit seinem neuen Lebensgefährten die Diskothek „Schatulle“ am Fasanenplatz eröffnete. Willkommen war, wer ihm gefiel, deshalb stand er persönlich an der Tür, um seine Gäste willkommen zu heißen. Zeitweise übernahm er auch noch das Restaurant nebenan, aber das wurde ihm bald zu viel Küchenarbeit. Außerdem lief die „Schatulle“ gut, so gut, dass Neider ein Feuer legten, ausgerechnet an seinem Geburtstag, aber das hielt ihn nicht von einer Neueröffnung ab.

Erst als die Pacht zu teuer wurde, schloss er die Diskothek, kaufte ein Cabrio und fuhr ein halbes Jahr in den Süden. Nach der Rückkehr lud er seine Stammgäste in die neu eröffnete „Polo Bar“, exklusive Cocktails, heimelige Atmosphäre, bis die Maueröffnung selbst seine Gäste in die Etablissements des Osten lockte. Dafür gewann er seinen Sohn zurück, der wenige Tage nach dem Mauerfall mit großem Applaus in der „Polo Bar“ begrüßt wurde. Und auch die Stammgäste kehrten nach einiger Zeit wieder, als Jürgen in die „Bar Gainsbourg“ am Savignyplatz einlud, wo er fortan als guter Geist waltete.

Jürgen hat für Freunde gern und lecker gekocht, stets mit den besten Zutaten. Er lebte 50 Jahre in seiner Wohnung, die nicht sehr groß ist, aber einen wunderbaren Blick über die Havel bis hinüber nach Potsdam bietet. Über 40 Jahre waren er und sein Freund ein Paar, zum Dank für die beidseitige Ausdauer feierten sie Hochzeit. Und als Lohn für die Mühen der Arbeit, schenkte er sich weite Reisen, denn er gab gern Geld für Erinnerungswerte aus. Karneval in Rio. Auf Jungfernfahrt mit der Queen Mary. Einmal um die ganze Welt auf einem Kreuzfahrtschiff, an Bord auch sein kriegsversehrter Vater, dem er den Traum vom Schwimmen im Pazifik erfüllte, dank einer neuen Prothese.

Jürgen hatte den Sohn an seiner Seite, der noch auf einige Reisen und Wanderungen mit dem Vater hoffte, doch das Glück ließ Jürgen Weihnachten 2021 im Stich. Der Tumor wurde gefunden, operiert, aber es blieb ihm nur noch ein Jahr. Zeit für viele Abschiede. Ein Freund kam eigens aus Miami, als es zu Ende ging, und ließ einen Blumenstrauß im Hospiz zurück, so wunderbar üppig und duftend, dass er zur Freude aller im Flur aufgestellt wurde. „So einen schönen Strauß“, seufzte eine alte Dame, die ihn tagtäglich bestaunte, „habe ich noch nicht mal zu meiner Hochzeit bekommen.“

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