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Thomas Bachmann

© privat

Nachruf auf Thomas Bachmann: Die Freiheit musste sein

Heiraten? Wozu denn? Und anstellen ließ er sich sowieso nicht.

Thomas schrieb Tagebuch, Band um Band, Jahr für Jahr. Nimmt man eines heraus, 2003 zum Beispiel, schlägt es auf, sind auf den ersten zwei Seiten sämtliche Theater-, Opern-, Kino- und Konzertbesuche aufgelistet, die er mit Jacqueline absolvierte, manchmal waren es drei oder vier in einer Woche: „Der Auftrag“ von Heiner Müller hat ein Minus bekommen. Das Lustspiel „Charleys Tante“ bekam ein Pluszeichen, die Oper „Die tote Stadt“ sogar zwei.

Selbst ins Krankenhaus nahm er sein Tagebuch mit, notierte, was es zu essen gab, wer zu Besuch war. „Er brauchte das, um seinen Geist aufrechtzuerhalten“, sagt Jacqueline. Über 40 Jahre teilten sie Wohnung, Liebe und Leben. Heiraten wollte Thomas nicht; da pochte er auf seine Freiheit. Bis er 2021 dann doch Ja sagte.

„Sie war da, ein Engel, pure Freude“, notierte er, wenn Jaqueline ihn am Krankenbett besuchte. Gesagt hat er ihr das nicht so schön. Ebenfalls für seinen Geist löste er Aufgaben berühmter Mathematiker. Auf kleine Zettel schrieb er sie, die dann überall herumlagen, zuhause und später auch im Krankenhaus. Dort wurde Tag um Tag seine Schrift schwächer.

Thomas wuchs mit seiner Mutter, Tanten, Cousinen und Großeltern in Sachsen auf. An seinen Vater erinnerte er sich nicht mehr, der als Arzt an der Ostfront in Gefangenschaft geraten war. Die Jahre vergingen, Thomas wurde größer, bis 1955 die Nachricht kam, dass sein Vater entlassen wurde. Doch nicht nach Sachsen kehrte er zurück, sondern nach Duisburg, wo es eine Stelle für ihn gab.

Der fremde Vater

Also zogen auch Mutter und Sohn nach Duisburg. Dort lebten sie mit diesem für Thomas fremden Menschen in einer Einzimmerwohnung. In der Schule wechselte Thomas von Russisch auf Latein und Englisch. Seine Mutter war sanft und lieb, der neue Vater autoritär und streng.

Mit 20 zog Thomas möglichst weit weg, nach Barcelona. Ein Verwandter betrieb hier einen Wissenschaftsverlag, den Thomas eines Tages übernehmen sollte. Er lernte Spanisch, saß von morgens bis abends am Schreibtisch, wohnte bei der streng katholischen Familie. Das war alles nichts für ihn. Also ab nach Berlin, zur Bundeswehr wollte er sowieso nicht. Als Studienfach wählte er Volkswirtschaft, weil er Mathe mochte. Tatsächlich aber demonstrierte und diskutierte Thomas.

Im SDS war er aktiv, er kannte Rudi Dutschke und Christian Ströbele, demonstrierte 1967 gegen den Besuch des Schahs, war 1968 bei der Schlacht zwischen Studenten und Polizisten am Tegeler Weg dabei, und er half amerikanischen Soldaten, die desertiert waren. „Er hatte etwas Überzeugendes, er wusste viel. Manchmal konnte er auch ein bisschen streng in seinen politischen Ansichten sein“, sagt eine Bekannte. Doch je stärker sich die Studenten radikalisierten, je kleiner und dogmatischer die Gruppen wurden, umso mehr wandte sich Thomas ab. Gruppenzugehörigkeit, eingeschworene Zirkel, Kadergehorsam – das war nicht seins.

Thomas schmiss sein Studium, als zu einengend empfand er Seminare, Prüfungen und Hausarbeiten. Sein Vater war damit selbstverständlich gar nicht einverstanden, er bot ihm sogar Geld an, wenn er weiter studieren würde. Doch Thomas ließ nicht mit sich reden. Von nun an herrschte totale Sendepause zwischen den beiden, mehr als 15 Jahre lang. Und wenn Thomas und seine Mutter sich sehen wollten, dann musste sie sich eine Ausrede einfallen lassen, um heimlich nach Berlin zu fahren.

Thomas fing beim DAAD an, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, natürlich nicht fest angestellt, sondern als Selbstständiger, alles andere wäre zu viel Bindung und Verpflichtung gewesen. Er zeigte Studenten aus dem Ausland die Stadt, hielt Vorträge über Ost und West, die Alliierten, die Sowjetunion. Oder er begleitete Wissenschaftler. Er hatte so eine unkomplizierte, nette Art; auf Fotos lacht er immer.

„Er trug lange Haare und hatte Schlaghosen an. Vor allem aber habe ich seine Stimme gemocht, warm, tief und sanft, und seine blauen Augen“, sagt Jacqueline, die aus Frankreich kam und in Berlin studierte. Sie verliebten sich, sie schrieben Briefe, er besuchte sie in Paris, zusammen gingen sie auf die 1.-Mai-Demo. „Auf Händen hat er sie getragen“, sagt eine Freundin. Nach einer Weile des Hin- und Her, entschied sie sich für Berlin, für Thomas.

Wie immer lachend

Jetzt begann wohl das, was Thomas als sein „kontemplatives Leben“ bezeichnete: Er mochte es ruhiger, las gerne Bücher, Gedichte und drei Zeitungen am Tag. Er spielte Skat oder Schach, letzteres im Verein oder am Computer, oft stundenlang. Um seine Freundschaften kümmerte er sich. Wenn verreisen, dann bitte ohne Action, in die Bretagne war okay oder zu einem Freund an den Comer See. Vom DAAD wechselte er ins Bundespresseamt. Nun begleitete er ausländische Journalisten. Und wieder ließ er sich nicht anstellen. Die Freiheit musste sein.

1984, Thomas’ Vater wurde 70. Er lud ihn und Jacqueline nach Hause ein. Es war das erste Mal, dass die beiden sich wiedersahen. Jaqueline brach das Eis, der Vater interessierte sich für Frankreich. Ihre goldene Hochzeit feierten Vater und Mutter 1991 in Berlin. Sie saßen im Café Kranzler, da zeigte Thomas im rechten Augenblick auf die Anzeigetafel gegenüber. Darauf stand ein Glückwunsch für die beiden. Nachdem die Mutter 1994 gestorben war, telefonierte Thomas oft mit seinem Vater und besuchte ihn. Auf Fotos sitzen die beiden nebeneinander, der Vater streng und ernst, Thomas wie immer lachend.

Der Vater wurde dement und kam in ein Pflegeheim. Nachts erhielt Thomas Anrufe, sein Vater habe sich mal wieder davon gemacht. In sein Tagebuch schrieb er, wie sehr ihn das mitnahm, Jaqueline sagte er nichts davon. 2003 starb der Vater.

Thomas genoss weiterhin das Leben auf seine kontemplative Art, bis er selbst krank wurde, Krebs. Er machte die Chemotherapie und galt als geheilt.

„Wollen wir nicht jetzt heiraten? Im Zweifelsfall darf ich dich noch nicht einmal im Krankenhaus besuchen“, fragte Jacqueline. Es war Dezember, es schneite, als sie sich das „Ja“-Wort haben. Als der Krebs wiederkam, entschied sich Thomas gegen die Schläuche. Bloß nicht noch einmal so unfrei sein!

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