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Berlin: Thi-Thu Nguyen (Geb. 1958)

Der Name sollte ihr Schutz geben. Aber es gab keinen Schutz.

Ihr wirklicher Name? Der bleibt unausgesprochen, denn sie war bis zuletzt auf der Flucht vor den Geistern der Erinnerung, die sie heimsuchten in wechselnder Gestalt.

Ein Kind armer Leute galt nicht viel in Laos, ein Mädchen schon gar nicht. Zwei Jahre durfte sie zur Schule gehen, dann musste sie sich um ihre Geschwister kümmern. Kaum erwachsen, wurde sie Dienstmädchen im Haus eines Generals. Sie verliebte sich in den Ziehsohn und er sich in sie, denn Thi-Thu war hübsch wie eine Prinzessin.

Die Dämonen des Krieges beendeten das kurze Glück: Obwohl die USA offiziell nie den Krieg erklärten, gingen in Laos mehr Bomben nieder als im Zweiten Weltkrieg über Deutschland und Japan. 530 000 Fliegerangriffe, um die vietnamesischen Truppenbewegungen auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad zu unterbinden, der zum Teil durch Laos führte.

Thi-Thus Mann war Vietnamese. Sie mussten fliehen wie hundertausend andere, fanden Zuflucht in einem Flüchtlingslager in Thailand.

Ihr zweiter Sohn wurde im Lager geboren. Ihr erster Sohn war kaum vier, als er sah, wie Soldaten ins Lager kamen, sich Frauen griffen und in Hütten schleppten. Jahre später fragte er nach, denn er mochte es nicht glauben, was die Bewacher den Bewachten angetan hatten, aber es traf zu, bestätigte seine Mutter.

Thi-Thu Nguyen, das war ihr Flüchtlingsname, der ihr Schutz geben sollte vor Verfolgern. Aber es gab keinen Schutz, nur wahnsinnige Angst vor Übergriffen, und in einer dieser Panikattacken griff sie ihren eigenen Mann mit dem Messer an und kam, noch während die Familie im Lager war, sechs Monate ins Gefängnis.

Vier Jahre Lagerleben, dann erst fand die Familie Zuflucht in Deutschland. Alles schien sich zum Guten zu wenden. Thi-Thu brachte eine Tochter zur Welt. Die Nachgeburt hielt sie für ein zweites Kind, das ihr, so glaubte sie, von den Schwestern geraubt wurde. Die Ärzte diagnostizierten eine Schwangerschaftspsychose. Sie wusch ihr Kind mit Urin, ein altes laotisches Ritual, um es vor bösen Geistern zu schützen, daraufhin erklärte man sie für vollends verrückt und wies sie dauerhaft in die Psychiatrie ein. Zehn Jahre, ohne dass auch nur ein Dolmetscher hinzugezogen worden wäre.

Ihr Mann ließ sich scheiden, ihre Kinder wurden zu Pflegeeltern gegeben. Sie selbst wurde mit Medikamenten stillgestellt. Zehn Jahre in der Psychiatrie, Zeit genug, Psychosen zu entwickeln, Gespenster zu sehen.

Eine der Pflegemütter sorgte sich um sie, stellte den kontinuierlichen Kontakt zu ihrem Sohn her und beschaffte schließlich einen Dolmetscher. Thi-Thu, die alle in der Klinik für verwirrt gehalten hatten, konnte sich plötzlich Gehör verschaffen.

Ihr Mann kam zu ihr zurück, wollte die Kinder zu sich holen und in Berlin die Familie wieder zusammenführen. Zwei Jahre dauerte dieses Intermezzo in Dur.

Die Kinder fanden nur schwer Kontakt zur Mutter, die sie so lange entbehrt hatten; der Vater war Familienleben nicht gewöhnt, und Thi-Thu, die sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als ihre Kinder bei sich zu haben, war fürsorglich bis zur Erschöpfungsgrenze, aber zuweilen wurde es ihr dann plötzlich zu viel, sie legte sich einfach ins Bett, sah Fernsehen. Sie verstand nicht viel von dem, was kam, aber sie mochte die bunten Bilder.

Die Familie brach erneut auseinander. In Berlin fand sie bessere Ärzte, sie wurde zunächst in eine offene Station eingewiesen, suchte sich dann ihre eigene kleine Wohnung, in direkter Nähe eines betreuten Tageszentrums.

Dort war Thi-Thu die heimliche Königin, und sie verstand sich entsprechend zu kleiden: viel Gold in Folienform, viel Schmuck, viel Glitzer aller Art, nicht selten ein Diadem. Die kleinen, schmalen Beinchen ihrer Jugend hatte sie sich bewahrt, aber die mussten nun einen majestätischen Leib tragen, denn Thi-Thu aß gern, viel und ausdauernd – trotz ihrer Diabetes.

Sie rülpste auch gern und spuckte, den Sitten ihrer Heimat entsprechend. Behäbig, zuweilen ein wenig träge, sparsam mit Worten, so wiegte sie sich im schlenkernden Gang huldvoll durch den Saal.

Ihren Schmuck legte sie nie ab, selbst im Bett, selbst unter der Dusche nicht. Er bot Schutz und schenkte Aufmerksamkeit, die sie genoss. Thi-Thu war beliebt, obwohl sie beim Rummy Cup, sie nannte es „Gummitopf“, immer schummelte. Aber das störte nicht, denn sie konnte so wunderbar über sich selbst lachen.

Und dieses Lachen ist auch in ihren Bildern zu sehen. Sie hat viel gemalt, wie besessen, aber von Besessenheit keine Spur in den Bildern. Die immer wiederkehrenden Motive: Vögel, Fische, Tempel, die Welt der Heimat, in farbenfrohen, nicht selten goldenen Glanz getaucht.

Das Heimweh trieb sie um, ließ sie oft traurig werden. Thi-Thu konnte nie allein sein. Deswegen ging sie gern in die Klinik oder telefonierte stundenlang mit dem Krisendienst. Sie fühlte unbestimmbare Schmerzen, wollte die Kinder zum Trost unentwegt um sich, dachte viel und wehmütig an ihre Mutter, die es nach Australien verschlagen hatte.

Zwei Mal hat Thi-Thu die Reise in die Heimat gewagt, in sicherer Begleitung, jedes Mal wenn sie zurückkam, ging es ihr besser. Sie war lebhafter, erzählte von sich, ging auf andere zu.

Zwei Tage vor dem Tod der Tochter, so erzählte die Mutter später, erschien Thi-Thu ihr im Traum und erklärte, dass sie nun bald endgültig in die Heimat zurückkehren würde. Die Kinder hatten lange beraten, wo sie die Mutter bestatten lassen würden, nun wussten sie, dass Thi-Thu für immer heim nach Laos wollte. Gregor Eisenhauer

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