zum Hauptinhalt

Berlin: Nachts auf dem Hochsitz

Die Jagdschein-Prüfung ist schwer und der Abschussplan penibel einzuhalten: Unterwegs mit einem Jäger durchs Havelland – ganz leise natürlich.

Falkensee - Leise schnappt die Autotür ins Schloss. Ab jetzt wird nur noch geflüstert. Jäger Udo Appenzeller hebt kurz den Arm und schreitet bedächtig auf einem Trampelpfad durchs Unterholz. Wie abgemacht bleibt der Begleiter dicht hinter ihm. Das Wild soll nicht aufgeschreckt werden, und wenn es doch etwas merken sollte, nur eine Person wahrnehmen. Die Leiter zum Hochsitz erfordert in der Dunkelheit Geschick. „Kein Liebespaar da“, sagt der Jäger leise beim Öffnen der Tür.

Endlich sitzen wir auf der schmalen Bank, starren in die Dunkelheit. Erst ganz langsam erkennt das Auge den Lichtkegel des rund zehn Kilometer entfernten Berlin. In der Ferne fährt ein Zug, gleich vor dem Hochsitz beginnt ein Feld mit einer einzelnen Baumgruppe in der Mitte. Es folgt eine lange Zeit des Wartens und Fröstelns. Lediglich das Fernglas wechselt ein paar Mal hin und her. Aber Tiere lassen sich auf dem Feld am Rande Falkensees an diesem Abend nicht blicken. Für den Jäger Udo Appenzeller ist das nicht verwunderlich. Nur bei einem Bruchteil aller Jagdausflüge werde geschossen, sagt er leise. „In 99 Prozent aller Fälle beobachten wir.“ Dabei ist er fast täglich in seinem Revier unterwegs.

Später, in einer warmen Stube in Falkensee, holt der ehemalige Bundeswehr-Angestellte einen Aktenordner aus dem Schrank, um die Gepflogenheiten der Jagd in Brandenburg etwas näher zu erläutern. Als Präsidiumsmitglied des Landesjagdverbandes kennt sich Appenzeller in Theorie und Praxis gut aus. Das wichtigste Dokument steckt aber in seiner Jackentasche: der Jagdschein. Er muss bei jeder Jagd dabei sein und jährlich verlängert werden. Nicht wenige Interessenten verzweifeln an diesem „Grünen Abitur“, wie die Prüfungen wegen der vielen Fragen zu Flora und Fauna, zur Waffenkunde oder zum Naturschutz auch genannt werden. Doch mit Schulungen und praktischen Übungen allein ist es nicht getan. Man braucht einen Mentor, der den Kandidaten mit auf den Hochsitz nimmt und ihn in die Gepflogenheiten und Geheimnisse der Jagd einweiht. Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke machte seinerzeit kein Hehl aus seinen Problemen mit der Jagdprüfung, die er vor einigen Jahren erst im dritten Anlauf bestand. Der damals für Landwirtschaft und Umwelt zuständige Minister nahm das persönliche Scheitern vor einigen Jahren humorvoll, lobte aber gleichzeitig die hohen Anforderungen an einen Jagdschein.

Der gilt nur für ein bestimmtes Revier, das in der Regel an eine Jagdgenossenschaft verpachtet ist. In Falkensee teilen sich beispielsweise drei Pächter eine 900 Hektar große Fläche. „Hier müssen wir vor allem einen Abschussplan einhalten“, sagt Appenzeller und holt lange Listen der Unteren Jagdbehörde des Landkreises hervor. Penibel sind hier die Abschusszahlen nach Reh-, Dam-, Rot- und Schwarzwild aufgeführt, um einen gesunden Bestand zu halten. Auf 100 Hektar Land gelten beispielsweise „4,7 Rehe“ als zulässig.

In die Gesamtrechnung kommen auch jene Tiere, die bei Kollisionen auf Straßen getötet werden. Aber viele von ihnen finden gar keinen Eingang auf die Listen, weil sie blitzschnell in Kofferräumen oder auf Ladeflächen verschwinden. „Ich erhalte nach einem Wildunfall als Jagdpächter in der Regel einen Anruf der Polizei“, schildert Appenzeller. „Oft mache ich mich aber umsonst auf den Weg ins Gelände, denn in der Hälfte der Fälle ist das verunglückte Tier schon vorher mitgenommen worden.“ Gerade in ländlichen Gebieten würden viele Familien das Wildfleisch selbst verarbeiten, ohne es auf eine mögliche Erkrankung des Tieres oder Schädigungen des Fleischs durch den Unfall zu untersuchen. In jedem Fall würden sich die Wilddiebe strafbar machen. Von einer großen Zahl der Unfälle erfahre die Polizei aber gar nichts, weil sich die Autofahrer vorher aus dem Staub gemacht hätten. Dabei sei jeder verpflichtet, die Polizei zu verständigen und am Unfallort zu warten. Sonst könne es eine Strafe wegen eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort geben. Doch die meisten Fälle passieren in der Dunkelheit und ohne Zeugen.

Trotz dieser Erfahrungen betreibt Appenzeller sein Hobby mit Leidenschaft. „Oft nehme ich bei der Beobachtung des Wildes gar keine Waffe mit. Die Natur ist spannend genug.“ Claus-Dieter Steyer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false