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Berlin: Neue Freude an der Erbschaft

Tag des offenen Denkmals widmet sich vor allem der Nachkriegsarchitektur Es gibt viele Erfolge zu besichtigen, aber auch „Verluste“ zu befürchten

Vom 17. Stockwerk ihres Dienstgebäudes könne man weit blicken, schwärmte gestern Ingeborg Junge-Reyer: im Westen der Teufelsberg, im Osten der Potsdamer Platz, weit hinten die Müggelberge. „Schauen Sie sich mein Dienstgebäude an“, lockte sie, „wir werden den Weg zum Dach öffnen.“ Erstmals in seiner über 50-jährigen Geschichte lädt das Verwaltungshochhaus in Nähe des Fehrbelliner Platzes zum Tag des offenen Denkmals am 8. und 9. September ein.

Die Senatsverwaltung möchte in diesem Jahr, in dem an die Bauausstellung Interbau und 50 Jahre Hansaviertel und Kongresshalle erinnert wird, das „Berliner Nachkriegserbe neu entdecken.“ Mehr als 350 Orte können besichtigt werden, erstmals der Henry-Ford-Bau der FU, die Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße, die alte Rotaprint- Fabrik – und eben das eigene Dienstgebäude an der Württembergischen Straße. Es wurde nach Plänen des Architekten Werry Roth von 1954 bis 1956 errichtet, war damals das höchste Haus West-Berlins und auch ein Zeichen nach Osten, hoch hinaus zu wollen. Die Denkmalpfleger hätten es nicht immer leicht, den Wert der Nachkriegsdenkmale zu vermitteln, dabei verdanke Berlin ihnen das besondere städtebauliche Profil, den Ruf, eine Stadt der Moderne zu sein. Abrissgenehmigungen für denkmalgeschützte Bauten aus den 50er Jahren wie etwa für das Schimmelpfeng- Haus am Breitscheidplatz seien nie leichtfertig erteilt worden, sondern nach reiflichem Abwägungsprozess, versicherte sie. Landeskonservator Jörg Haspel erinnerte an die Aufbruchstimmung, die nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte. In Ost-Berlin habe man die Zukunft in „monumentalen Arbeiterpalästen“ an der einstigen Stalinallee gesehen, im Westen Wohnformen wie im Hansaviertel bevorzugt. Unterschiedliche Architekturen machten die Einzigartigkeit Berlins aus.

Aber Haspel wies auch auf „Verluste“ wie den Abriss von katholischen Kirchen in Gatow und Tempelhof, das „Ahornblatt“ auf der Fischerinsel oder „aktuell drohende Gefährdungen“ hin: Dabei geht es um die Zukunft weiterer ungenutzter Kirchen oder auch des leeren Gebäudes der Wasserbauversuchsanstalt an der Tiergartener Schleuse („Pop-Art-Architektur“) oder auch des Müggelturms.

Aber beim Tag des offenen Denkmals soll es um Erfolge gehen, zu denen die herausgeputzte Kongresshalle und das benachbarte Haus des Lehrers am Alexanderplatz gehören, die Universitäts- und Geschäftshäuser rund um den Ernst-Reuter-Platz, die Konzerthalle der Kunsthochschule, auch das zum „Haus Hardenberg“ erneuerte Kieperthaus oder das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR, das noch Anfang der neunziger Jahre ein Abrisskandidat war.

Die Senatorin stellte das gesamte Programm zum Tag des offenen Denkmals – zu dem auch zahlreiche Kirchen gehören, in einem der größten Nachkriegsgebäude vor: in der nach Plänen von Hans Scharoun und Edgar Wisniewski entworfenen Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße. Das Gebäude auf dem Kulturforum war in den Jahren 1967 bis 1978 gebaut worden, hat seine Stärken, aber auch seine Schwächen: Seit 2006 werden für rund 63 Millionen Euro die Klimaanlagen saniert und instand gesetzt, auch asbesthaltige Bauteile entfernt, die Arbeiten dauern acht bis neun Jahre. Während die Senatorin den Wert der Nachkriegsarchitektur würdigte, wurden Fotos aus der Eröffnungsphase der Staatsbibliothek gezeigt. Ganz deutlich hinter dem Bauwerk war ein höheres Wohnhaus zu sehen, das damals neu war: der „Bellevue-Tower“. Er ist längst weg, stand den Neubauten am Potsdamer Platz im Weg: verstoßenes Nachkriegserbe.C. v. L.

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