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Schaut nur genauer hin, dann ist’s gar nicht so übel am Alex.

© dpa/dpaweb

Neugestaltung am Alexanderplatz: Mein Alex, meine Liebe

Reißt nur alles ab, weg mit der Geschichte! Und dann nehmt euch den Ernst-Reuter-Platz vor. Oder etwa doch nicht? Ein Plädoyer für den Alexanderplatz - einen Platz voller Geschichte.

Nein, den Alexanderplatz muss man nicht lieben. Man kann ihn scheußlich finden, vom Winde durchweht, kalt, unpersönlich, misslungen, viel zu groß, von Kaugummiresten auf den widerspenstigen Gehwegplatten verunschönt, von Pennern und Taschendieben als gute Stube bevorzugt – schnell weg von hier. Aber wollen wir so oberflächlich mit dem größten, verkehrsreichsten und damit wohl bekanntesten Platz dieser Stadt umgehen? Hat der Alex nicht auch ein Recht, verteidigt zu werden vor jenen, die da allzu rasch bei der Hand sind, wenn es um Abriss und Neubau, um Rendite und ums Geldverdienen geht?

Zunächst muss doch nach der Funktionalität von Gebäuden gefragt werden. Zu was und für wen sind sie nütze? In welchem Kontext sind sie entstanden? Wie haben sie sich bewährt? Ein Gran Geschichte kann ja nicht schaden: Der Krieg hatte den Platz demoliert, nur mehr Peter Behrens’ allzeit modernen Gebäude, das Alexander- und Berolinahaus, waren geblieben. Irgendwie musste etwas passieren.

Im Frühjahr 1964 wurde ein Wettbewerb zur „Neugestaltung des Alexanderplatzes“ ausgeschrieben. Vorgabe: die Befreiung vom fließenden Verkehr und die Verbesserung der Aufenthaltsqualität für Fußgänger. Die neuen Gebäude wurden an den Rand gerückt, für den Aufenthalt gab es eigentlich keinen Grund – wenn man nicht auf der „längsten Bank Europas“ sitzen, sich an Hochbeeten fotografieren oder unter der Weltzeituhr treffen wollte.

Die Erinnerungen an den Platz haben auch mit den Bauwerken in der Mitte oder am Rande zu tun: Wenn es hinter der metallenen Wabenfassade des Centrum-Warenhauses etwas Besonderes gab, dann sprach sich das ganz schnell rum. Mit viel Fingerspitzengefühl wurde der heutige Kaufhof umgestaltet und modernisiert statt schnöde beseitigt. Im „Haus des Reisens“ haben wir unsere Träume bezahlt, sie reichten nur bis zum Schwarzen Meer oder bis zum Balaton.

Gegenüber, im 36. Stock vom Hotel „Stadt Berlin“ wurde gelegentlich gefeiert, während im gleichen Saal englische Offiziere in Uniform ihrem Whisky derart zusprachen, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. In dem 1000-Betten-Haus marschierten regelmäßig die Reisegruppen aus Lettland oder Kasachstan im Gänsemarsch zur kollektiven Halbpension. Heute gehört das Park Inn zur Topadresse für Touristen. Das Pressecafé im Haus des Berliner Verlages war ein Ort, in dem die Kollegen ihren Frust ’runterspülten, im Haus der Elektroindustrie gegenüber gab es außer Büros auch seltene Schallplatten, und wo einst eine Massenabfertigungskantine stand, jodeln die Saupreißn heute total bajuwarisch.

Die Alex-Häuser haben ihre Geschichte

Die Alex-Häuser hatten und haben ihre Geschichte. Sie sind voll funktionsfähig, können jederzeit innen und außen renoviert werden und bleiben dennoch Zeugnisse der Architektur eines Landes, in dem Millionen Brüder und Schwestern für ein besseres Dasein gerackert haben. Kluge Leute haben die Bauten entworfen, manchmal mit der geballten Faust in der Tasche, wenn ihnen die Arroganz der Macht vorschreiben wollte, was ein Viereck zu sein hatte.

Im Übrigen wurde der Alex auch von meinen Steuergeldern gebaut. So einfach „Weg damit!“ sagen und etwas anderes hinstellen – das ging schon vor 20 Jahren schief. Möchte man vielleicht den langweiligen Ernst-Reuter-Platz auch neu bauen? Nie gehört. Stattdessen erlaubt die Stadt, dass ihr neuer Hauptbahnhof von langweiligen Schachteln vollgestellt wird. Skandalös! Mein Horrorszenario: Hotel, Warenhaus, HdE, Haus des Reisens werden abgerissen, der Alex ist kahler denn je. Und dann passiert - nix.

Die Anwälte streiten, Alteigentümer auch. Die Anti-Alex-Neubaufront formiert sich, über die Pläne für Klein-Manhattan stolpern mehrere Baustadträte, Stadtbaudirektorinnen und Bürgermeister. Wir schreiben das Jahr 2046, inzwischen sind kleine, flache Gebäude im Bauhausstil modern, Kollhoff, mittlerweile 100, plant den niedrigen Alex als Ausdruck persönlicher Freiheit und menschlicher Dimensionen. Dann schon lieber ein Alex-Denkmal – aber bitte, endlich, mit einem schönen Café mittendrin!

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