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Berlin: Neukölln: Über Helden, Kritiker und Eitelkeiten

Probleme mit der Fantasie hat er keine. Der Schriftsteller Thomas Brussig sitzt an seinem Schreibtisch, und dann fällt ihm immer was ein.

Probleme mit der Fantasie hat er keine. Der Schriftsteller Thomas Brussig sitzt an seinem Schreibtisch, und dann fällt ihm immer was ein. Sogar die auf den ersten Blick absurde Vorstellung, dass - wie in seinem Roman "Helden wie wir" - die Hauptfigur "das Gitter im U-Bahn-Schacht bumst". Das zumindest erzählt der Autor des Bestsellers "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" den Schülern einer 11. Klasse der Walter-Gropius-Schule.

Die Jugendlichen nehmen am Schülerwettbewerb "Preis junge Kritiker" teil, der von mehreren Verlagen ausgelobt wurde. Mit dieser bundesweiten Veranstaltung, die bis zum Freitag läuft, werden Schüler der Oberstufen dazu aufgerufen, aktuelle Literatur zu lesen, zu diskutieren und zu rezensieren. Die jungen Kritiker können dabei aus einer Liste mit 50 Titeln wählen. Einer davon ist Brussigs Roman "Helden wie wir", in dem die Hauptfigur behauptet, die Berliner Mauer 1989 "mit seinem Schwanz" zum Einsturz gebracht zu haben. Ob Lobeshymne oder Verriss: Was zählt ist die gute Meinung, fordern die Initiatoren. Das Ganze läuft via Internet, denn unter www.junge-kritiker.de sollen die Kritiken als E-Mail eingereicht werden.

Die Gropiusstädter Nachwuchs-Kritiker halten sich beim Treffen mit Brussig zunächst zurück. Deshalb diskutiert der Autor eine Weile mit professionellen Literaturkritiker Frank Heibert, der den Schülern einige Tipps gibt, was für eine gelungene Buchrezension wichtig ist. "Als Leser reicht es zu sagen: Mir gefällt dieses Buch. Als Kritiker muss das schon etwas differenzierter sein". Wichtig für seine Artikel sei die Festsellung, um welches Genre es sich bei dem Werk handle, welche Rolle die Sprache und der biografische Hintergrund in dem Werk spiele.

Brussig fügt hinzu, dass sein Romanheld ein erfundener Ich-Erzähler ist, der nicht identisch mit dem Autor ist. Selbst die Schirmherrin des Wettbewerbs, die Literaturkritikerin Sigrid Löffler habe das immer noch nicht verstanden. "Sie kritisierte mich für die sprachlichen Entgleisungen der Hauptfigur und unterstellte mir dann, dass ich ein schlechtes Sprachgefühl habe." Mittlerweile, so gesteht Brussig, lese er keine Rezensionen seiner Bücher mehr, da kaum ein Kritiker verstehe, was der Kern seiner Geschichten ist. "Viele Kritiker verreißen ein Werk, nur um auf sich aufmerksam zu machen", meint er, "das ist pure Eitelkeit".

Jetzt regen sich die Schüler: Wann sonst hat man als Leser die Gelegenheit, einen Autor persönlich zu fragen, was denn "der Kern nun ist"? Totalitarismus-Auseinandersetzung, die Hauptfigur, die nicht erwachsen wird, ein Held, der alles Lächerliche in der DDR noch übersteigt, versucht Brussig zu skizzieren. Wer jetzt gut aufgepasst hat, könnte Glück haben: Die besten drei Jungkritiker dürfen nach New York fliegen, um die Verlagsgruppe Random House-Bertelsmann zu besuchen. Vorausgesetzt, man hat das Buch gelesen.

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