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Berlin: Noch amtiert der alte Senat, doch alle warten darauf, wie es weitergehen soll

Früh um neun schwingt Eberhard Diepgen sein Regierungshämmerchen. Damit scheucht er einen kleinen gemütlichen Stehkonvent um den CDU-Kollegen Peter Radunski auf.

Früh um neun schwingt Eberhard Diepgen sein Regierungshämmerchen. Damit scheucht er einen kleinen gemütlichen Stehkonvent um den CDU-Kollegen Peter Radunski auf. Einige SPD-Senatoren wollen vom Kultur- und Wissenschaftssenator wissen, warum er sein Amt wirklich aufgeben will. Radunski genießt das freundliche Interesse und sagt nur ganz gemütlich, was er schon am Wahlabend gesagt hat: Er wolle nicht mehr, und es gehe auch nicht mehr. Der Regierende klopft mit dem Hämmerchen; die Senatssitzung soll anfangen.

Sie dauert diesmal nur 50 Minuten. Senatssprecher Michael Andreas Butz spricht später von einer "Routinesitzung in kollegialer, sachlicher Atmosphäre." Berlin hat gewählt, aber der Senat besteht, bis das Parlament einen neuen gewählt hat. Das muss man demonstrieren. Große Sprünge kann dieser Senat zwar nicht mehr machen, aber Routinefragen sind auch wichtig. Nur ein Thema ist an diesem Morgen am Kabinettstisch im Roten Rathaus tabu: der Wahlausgang am Sonntag. Kein Siegeslächeln bei der CDU, kein trübes Gesicht bei der SPD. "Es war nicht traurig, sondern sachlich", sagt die scheidende Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) hinterher.

Repräsentationstermine sind zu besprechen. Jemand muss am Wochenende nach Washington fliegen, wo das Berliner Philharmonische Orchester spielt. Anlass: zehn Jahre Fall der Mauer. Radunski bedauert behaglich, er kann nicht. Diepgen fragt nun Frau Stahmer, sie kann auch nicht. Der Regierende hat verstanden; augenzwinkernd bietet er Umweltsenator und SPD-Chef Peter Strieder die Reise an. Der zwinkert zurück: "Dann müsste ich den SPD-Landesausschuss ausfallen lassen und ein paar Leute von uns mitnehmen." Schließlich darf die (auf CDU-Geheiß scheidende) Gesundheits- und Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) nach Washington. Am Sonnabend hält der "kleine Parteitag" der SPD seinen großen Strategie-Ratschlag über Oppositions- oder Koalitionskurs. Frau Stahmer verspürt die Pflicht, ihrer Partei als eine, die kein Amt mehr will, über die Koalitionshürden zu helfen.

Die Feierlichkeiten am 9. November zum 10. Jahrestag des Mauerfalls stehen auch auf Diepgens Terminliste - einschließlich Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den früheren amerikanischen Präsidenten George Bush. Und ganz wichtig ist die gemeinsame Kabinettssitzung von Bundesregierung und Senat am 17. November, aber nicht im Kanzleramt, sondern im Roten Rathaus. Diepgen bittet alle Senatoren um schriftliche Vorschläge für die Themenliste. Gemeinsame Kabinettssitzungen gab es schon in allen Ost-Ländern, Berlin ist das letzte. Der Termin fällt pikanterweise auf den letzten Tag der alten Wahlperiode; am 18. November beginnt die neue mit der konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses.

Ein Senatsbeschluss wird auch noch gefaßt: Frau Hübner darf einen neuen Vergütungsvertrag mit Sozialverbänden unterzeichnen. Um 1, 54 Prozent werden die Kostenvergütungen für Obdachlosen- und Behinderteneinrichtungen erhöht. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing legt nur Wert auf die Feststellung, dass damit kein Präzedenzfall für eine Koppelung an Lohntarifsteigerungen geschaffen wird. Es soll an diesem Punkt geknirscht haben zwischen der Finanzsenatorin und allen anderen. Das sagen aber wiederum nur einige.

Zu langen Diskussionen hat keiner Lust. Selbst Bausenator Jürgen Klemann (CDU) muss sich nicht mehr aufregen, er hört ja auf. Im übrigen steckt allen wohl noch der strapaziöse Wahlkampf in den Knochen. Drei von der CDU sind überhaupt schwer erklältet. Diepgen muss öfter husten, Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) und Innensenator Eckart Werthebach sind sehr vergrippt; Werthebach gibt vorsichtshalber niemandem die Hand.

Nach 50 Minuten ist alles vorbei. Man geht nett auseinander, bis zum nächsten Dienstag. Von Abschiedsstimmung ist noch lange keine Rede. Nur Strieder nimmt frohgemut die Zukunft vorweg: "So zügige Beratungen und so kurze Sitzugen wünschen wir uns für die neue Wahlperiode", sagt Peter Strieder frohgemut. Wenn das diejenigen seiner Partei hören könnten, die für Opposition sind.

"Wie lange wir noch nachsitzen müssen, hängt davon ab, wann man zu Potte kommt", meint Frau Stahmer. Diepgen würde auch den immerwährenden Senat zelebrieren. Die Verfassung von Berlin hat eine "stabilisierende Wirkung", findet Butz. Der für eine Wahlperiode geschlossene Koalitionsvertrag von 1995 gilt jedenfalls bis zum 18. November. Sollte sich die SPD danach ihre Oppositionssehnsucht erfüllen und ihre Senatoren zurückziehen, könnte Diepgen sie mit der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte beauftragen - oder die verwaisten Ressorts von CDU-Senatoren mitbetreuen lassen. Doch so weit kommt es garantiert nicht. Nach der Wahl 1995 dauerte die Senatsbildung die Rekordzeit von drei Monaten. Vielleicht ist man ja am Sonnabend bei der SPD schon etwas klüger.

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