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Unsichere Zeiten. Selbst Geschwisterkinder mit einem Rechtsanspruch auf Betreuung können abgewiesen werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Not in der Kinderbetreuung: Taskforce vergibt Berlins letzte freie Kitaplätze

Die Not bei der Kinderbetreuung in Berlin ist groß. Jetzt hat Senatorin Scheeres zumindest ein paar Plätze zu Härtefälle eingesammelt. Die ersten Bezirke schotten sich ab.

Im Kriegsfall nennt man so etwas das letzte Aufgebot: Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat berlinweit an die freien Träger von Kitas appelliert, doch noch ein paar freie Restkapazitäten ausfindig zu machen. Der Appell war nicht umsonst: Rund 180 Plätze wurden gemeldet, so dass Scheeres jedem Bezirk 15 Plätze anbieten kann. Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe – eine Art Taskforce – ist nun damit befasst, die „besonders dringenden Fälle zu versorgen“. Dies belegt ein dem Tagesspiegel vorliegendes Schreiben von Scheeres’ Verwaltung an die Jugendämter.

Wer klagt, wird bevorzugt

Dem Schreiben ist zu entnehmen, welche Familien bevorzugt bedacht werden sollen. Grundlage für eine Vergabe innerhalb des Kontingents ist demnach, dass ein Kitagutschein vorliegt und dass der Termin, ab dem ein Rechtsanspruch bestand, bereits verstrichen ist. Das allein reicht aber nicht für eine bevorzugte Vergabe. Darüber hinaus müssen die Eltern bereits einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt haben oder aber sie müssen nachweisen können, dass „eine konkret geplante Arbeitsaufnahme nicht möglich ist“, heißt es in dem Schreiben.

Scheeres betonte am Mittwoch, dass „die Bezirke in der Pflicht sind, Kitaplätze nachzuweisen“. Angesichts der fehlenden Kapazitäten und weil die Zeit dränge, habe sie die Arbeitsgruppe eingesetzt und es sei „in direkter Absprache mit Kitaträgern“ gelungen, das Platzkontingent für besonders dringende Fälle zu akquirieren.

Sorge bei Eltern im Eigenbetrieb City

Die zunehmenden Klagen von Eltern haben aber nicht nur die Einrichtung der Taskforce ausgelöst, sondern auch dazu geführt, dass sich die ersten Bezirke dagegen sträuben, bezirksfremden Kindern Plätze in ihren Kita-Eigenbetrieben anzubieten. Eine Mutter berichtete dem Tagesspiegel, dass ihnen der Eigenbetrieb City, der für Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zuständig ist, den bereits zugesagten Platz für ein Geschwisterkind streitig mache. Ein entsprechender Aushang empfing die Familie am Montag, als sie ihr älteres Kind morgens abgeben wollte.

Die Bezirke argumentieren mit einem Schreiben der Senatsverwaltung für Jugend aus dem März. Darin waren sie aufgefordert worden, mit den Eigenbetrieben Vereinbarungen zu treffen, um direkten Zugriff auf Plätze zu bekommen. So ist es auch im Kitaförderungsgesetz vorgesehen. Allerdings sollte diese Vereinbarung nicht soweit gehen, dass Geschwisterkinder außen vor bleiben, findet Scheeres: „Bereits gegebene Platzzusagen an Eltern müssen aus meiner Sicht eingehalten werden“, sagte die Senatorin auf Anfrage. Sie halte eine Regelung für Geschwisterkinder für „notwendig“.

Kritik aus Neukölln

Die Tatsache, dass Scheeres eine bevorzugte Vergabe an Bezirkskinder in den Eigenbetrieben unterstützt, bedeutet für Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU), dass der berlinweit gültige Kitagutschein „abgeschafft“ sei. Er erinnerte am Mittwoch daran, dass die Senatsverwaltung für Jugend bereits im März „zugelassen“ habe, dass Friedrichshain-Kreuzberg Tagespflegeplätze nur an Bezirkskinder vergab. Zu diesem Zeitpunkt sei noch ausgeschlossen worden, dass diese Regelung auch für Kitaplätze gelten könnte. Es werde nun noch schwerer, einen Betreuungsplatz etwa in der Nähe der Arbeitsstelle zu finden, befürchtet Liecke.

Die Jugendverwaltung widersprach der Neuköllner Darstellung. „Natürlich wird die berlinweite Gültigkeit des Kitagutscheins damit nicht abgeschafft“, betonte Scheeres’ Sprecherin Iris Brennberger. Die „allermeisten“ Kitas seien von den Vereinbarungen überhaupt nicht betroffen, da nur 34.000 von insgesamt 165.000 Betreuungsplätzen überhaupt zu den Eigenbetrieben gehörten: „Außerdem gehen wir nicht davon aus, dass die Eigenbetriebe alle Plätze nur noch an Kinder aus ihren jeweiligen Bezirken vergeben, sondern dass die Vereinbarungen nur eine begrenzte Platzzahl betreffen“, erläuterte Brennberger. Sie betonte, es seien in erster Linie die Bezirke selbst gewesen, die sich immer wieder beklagt hätten, dass sie Plätze vermitteln sollten, ohne selber einen Einfluss auf die Vergabe der Eigenbetriebsplätze zu haben.

Erzieherinnen mit Wohnungen locken?

Liecke hält das Vorgehen dennoch für falsch, da es den Eltern Freiräume nehme, ohne das Problem zu lösen: Der Senat tue besser daran, gegen die Erzieherknappheit anzugehen, da rund 2000 Plätze mangels Personal nicht belegt werden könnten. Berlin müsse attraktiver für diese Kräfte werden, so Liecke. Der Stadtrat will jetzt mit Wohnungsbaugesellschaften darüber sprechen, wie man Erzieherinnen bevorzugt Wohnungen vermitteln könnte, um sie nach Berlin zu holen. Auch die Vergütung müsse besser werden. Der FDP-Jugendpolitiker Paul Fresdorf erneuerte den Fraktionsvorstoß, den Kitas Verwaltungskräfte zur Verfügung zu stellen, damit die Kitaleitungen mehr Zeit für die Betreuung der Kinder hätten. Auf diese Weise könnten laut Fresdorf 400 bis 600 Vollzeitstellen gewonnen werden.

AWO-Eltern demonstrieren heute

Das finden auch Eltern aus Kitas der Arbeiterwohlfahrt. An diesem Donnerstag gehen sie auf die Straße – „aus Solidarität mit den Erzieherinnen“, weil am selben Tag die nächste Verhandlungsrunde der AWO-Tarifkommission tagt. Zudem haben Eltern zu einer Großdemo gegen den Kitamangel am 27. Mai aufgerufen.

Wie berichtet, betrifft der Kitamangel inzwischen nicht nur Kinder, die einen Betreuungsanspruch haben, sondern auch jene Kinder, die mangels Deutschkenntnissen gesetzlich verpflichtet wären, eine Kita zu besuchen, aber ebenfalls keinen Platz finden. Scheeres appellierte diese Woche an die Jugendämter, diese Sprachförderkinder ebenfalls zu berücksichtigen, wenn sie mit den Eigenbetrieben Vereinbarungen schlössen.

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