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Sieht so die Zukunft aus? Bei Kopfschmerzen einfach den Rechner anwerfen.

© imago/Westend61

Online-Sprechstunden: Diagnose auf Distanz

Reine Online-Sprechstunden sind den Ärzten in Deutschland bisher verboten. Doch bald wird mehr möglich sein. Wie gut ist das?

Die junge Frau kennt die Symptome schon: Das muss wieder eine dieser lästigen Blasenentzündungen sein. Beim letzten Mal hat sie in der Arztpraxis in Gesellschaft hustender und schniefender Mitmenschen zwei Stunden gewartet, bis sie kurz mit der Ärztin sprechen und mit dem Rezept für ein Antibiotikum nach Hause gehen konnte. Heute möchte sie sich mit ihren Beschwerden lieber an Dr. Ed wenden. Vom Rechner aus.

Trotz seines Namens ist Dr. Ed kein Mediziner, sondern eher eine Marke. Eine Firma mit Sitz in London, die Online-Konsultationen bei Ärzten anbietet, die in Großbritannien zugelassen sind. „Wir sind ein Hausarzt, nur ohne Wartezeit“, erklärt David Meinertz, der das Unternehmen zusammen mit einem Kompagnon 2010 gründete. Die meisten Patienten kommunizieren mit einem der 15 Ärzte erst über einen Online-Fragebogen, das (Privat-)Rezept übermittelt Dr. Ed auf Wunsch einer Versand-Apotheke, die das Mittel zeitnah und diskret verpackt schickt. Falls die Patientin (oder Kundin?) bei dieser Gelegenheit mit der Ärztin am anderen Ende der Leitung auch über Verhütung spricht, wird möglicherweise noch der Versand einer „Pille“ vereinbart – die die junge Frau ohnehin selbst bezahlen müsste. Für akute Krankheiten und Notfälle fühlen sich die Ärzte nicht zuständig. Neben Leiden wie Heuschnupfen, Akne, Migräne und chronischem Bluthochdruck führen auch schambehaftetere Themen wie Erektionsstörungen, starke Körperbehaarung oder der Wunsch nach dem Schutz vor einer HIV-Infektion mit Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zum Wunsch nach dem Kontakt mit den Medizinern von Dr. Ed, deren Arbeit von der britischen Care Quality Commission überwacht wird.

Das neue E-Health-Gesetz lockert das Verbot

Dr. Ed hat seine „Praxisräume“ in England. Fernbehandlungen, wie er sie anbietet, sind in Deutschland gesetzlich bisher nicht vorgesehen. Das sogenannte Fernbehandlungsverbot ist Bestandteil der ärztlichen Musterberufsordnung. Demnach dürfen Ärzte individuelle Behandlungen und Beratungen nicht ausschließlich über Kommunikationsmedien durchführen. Doch das neue E-Health-Gesetz lockert dieses Verbot: Unter bestimmten Voraussetzungen können Mediziner ihren Patienten seit April auch Online-Videosprechstunden anbieten. Beide müssen sich allerdings zuvor in der Praxis kennengelernt haben. Die Kommunikation am Bildschirm dient dann eher der Kontrolle des Verlaufs und der Planung.

Die Wünsche der Bürger gehen möglicherweise weiter als das Gesetz: Über ein Drittel der Erwachsenen würden auch eine Videosprechstunde bei einem Mediziner besuchen, den sie vorher nicht kannten. Das geht zumindest aus einer Umfrage der Schwenninger Krankenkasse mit 1000 Befragten hervor. Zwar betonen neun von zehn, der Besuch in der Praxis und das ausführliche persönliche Gespräch seien ihnen weiterhin sehr wichtig. Immerhin ein Drittel kann sich aber sogar vorstellen, dass ein Roboter Teile der Behandlung übernimmt.

Gerade zeigt eine Studie aus den USA, dass Eltern Telemedizin auch gern für ihre Kinder nutzen möchten. Das Nemours Children Health System, das in mehreren Bundesstaaten Kinderkliniken betreibt, hat in einer Befragung herausgefunden, dass eine starke Mehrheit offen für Online-Konsultationen ist. Zwar haben bisher nur 15 Prozent der Eltern von den bestehenden Möglichkeiten für ihre Kinder schon Gebrauch gemacht. 97,5 Prozent von ihnen waren aber sehr zufrieden. Vor allem Erwachsene, die ihr Smartphone nutzen, um eigene Vitaldaten zu erheben, sind auch gegenüber telemedizinischen Angeboten für ihre Kinder offen.

Die Möglichkeit, als Patient Elektrokardiogramme (EKGs) und andere Daten selbst zu erheben und an den Arzt zu übermitteln, findet auch der Berliner Kinderarzt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbandes des Kinder- und Jugendärzte in Berlin, ausgesprochen interessant. Prinzipiell sind Online-Sprechstunden seiner Ansicht nach augenblicklich aber eher eine Hilfe für ältere, nicht mehr sehr mobile Menschen und solche, die fern von medizinischer Versorgung leben. „Gerade in einer Großstadt wie Berlin ist es ja relativ einfach, Kinder in eine Praxis zu bringen.“ Maske ist froh darüber: „Nichts ersetzt den direkten Kontakt mit einem Kind.“ Wenn es nicht anders ging, hat er sich aber auch schon hinreißen lassen, Filme und Fotos anzuschauen, die Eltern von ihrem kranken Kind aus dem Urlaub geschickt haben. Von einem Kind, das bei ihm schon Patient war und das er persönlich kannte. „Trotzdem ist das immer eine Notlösung.“

Hausärzteverband: "So etwas gibt es schon lange"

Auch der Allgemeinarzt Wolfgang Kreischer, Vorsitzender des Hausärzteverbands Berlin und Brandenburg, bekommt von seinen Patienten solche Fotos. Die neue gesetzliche Möglichkeit, Online-Videosprechstunden anzubieten, empfindet er nicht als revolutionär. „Wir machen schon lange Ähnliches, wenn wir mit Heimen per EDV verbunden sind und in Sekundenschnelle Einblick in die Eintragungen über unsere Patienten haben, die die Pflegekraft dort gemacht hat.“ Zudem gebe es, vor allem für ländliche Regionen, die Möglichkeit zu Hausbesuchen durch VERAHs, die speziell ausgebildeten Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis. Derzeit ist in Kreischers Augen die Online-Sprechstunde für die Ärzte wegen des geringen Erlöses und der hohen Investitionskosten auch wirtschaftlich unattraktiv. „Das ist bisher völlig dilettantisch geregelt“, kritisiert er.

Doch die Entwicklung geht weiter. In Baden-Württemberg wurde inzwischen eigens die Berufsordnung geändert, dort soll in Zukunft im Rahmen von Modellprojekten auch „ärztliche Behandlung ausschließlich über Kommunikationsnetze“ möglich sein. Ähnlich wie bei „Medgate“ in der benachbarten Schweiz, einem Portal, bei dem Versicherte einiger Kassen seit 16 Jahren Tag und Nacht per Telefon oder über das Internet Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin aufnehmen können. Die Mediziner können (Kassen-)Rezepte oder Krankschreibungen ausstellen, sie geben aber im Zweifelsfall auch den Rat, sich lieber in einer Praxis oder einem Krankenhaus vorzustellen. Im Wahlspruch des Unternehmens klingt an, wie viel Bewegung inzwischen in das Gebiet der Telemedizin gekommen ist: „Doc around the clock“.

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