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Zu schnell. In Prenzlau hat eine Notärztin einen tödlich Verletzten nicht genau genug untersucht.

© Imago

Panne an Tatort in Prenzlau: Ärztin übersah tödliche Stichverletzungen

Beinahe wäre ein Verbrechen unentdeckt geblieben, weil eine Notärztin offenbar nachlässig war. Sie attestierte bei einem Mann in Prenzlau eine natürliche Todesursache - obwohl er erstochen worden war. Ermittler fürchten, das dies kein Einzelfall ist.

Die Ermittler schüttelten nur die Köpfe – denn so etwas hatten sie noch nicht erlebt. Eine Notärztin hat im uckermärkischen Prenzlau bei einer Leiche eine natürliche Todesursache attestiert, dabei aber drei Stichwunden am Körper des Toten übersehen – und damit Hinweise auf eine schwere Straftat nicht bemerkt. Beinahe wäre dadurch ein schweres Verbrechen für immer unentdeckt geblieben. Nur durch das Misstrauen der Ermittler wurde die Beerdigung der Leiche gerade noch rechtzeitig gestoppt. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen einen 55-jährigen Alkoholiker aus Prenzlau wegen des Verdachts auf Totschlag. Das sagte Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper.

Nicht nur der Fehler der Notärztin, der gesamte Fall ist überaus kurios. Am 15. Februar, es war ein Samstag, hatte sich der 55-Jährige, gegen den jetzt ermittelt wird, telefonisch bei der Polizei gemeldet. Dem Beamten am Telefon erzählte der Mann, dass er an den beiden Tagen zuvor mit seinem 51-jährigen Kumpanen in dessen Wohnung gezecht habe. Bei dem Gelage habe er dann aber plötzlich festgestellt, dass sein Freund sich nicht mehr bewegt und auch keinen Puls mehr gehabt habe.

Die Polizei löste nach dem Anruf sofort einen Einsatz aus, Beamte und Rettungskräfte brachen die Tür zur Wohnung des 51-jährigen Toten auf. Die herbeigerufene Notärztin stellte nach der Untersuchung der Leiche aber einen natürlichen Tod fest und vermerkte aufgeplatzte Krampfadern als Todesursache. Weil kein Verdacht auf eine Straftat bestand, setzte dann das übliche Prozedere ein. Die Leiche wurde zur Beerdigung freigegeben und von einem Bestattungsinstitut abgeholt.

Doch es kam anders. Die Ermittler der Polizei besprachen mit einem Staatsanwalt, der in Neuruppin am Wochenende Bereitschaftsdienst hatte, den Fall. Nach interner Rücksprache in der Staatsanwaltschaft Neuruppin kam zumindest die Frage auf, ob nicht Verdacht auf unterlassene Hilfeleistung gegen den 55-jährigen Anrufer und Zechkumpanen untersucht werden müsste. „Dazu muss man aber wissen, ob die Hilfe erforderlich war, als der Helfer fortging“, sagte Oberstaatsanwältin Lodenkämper. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin beantragte deshalb vor Gericht eine nachträgliche Obduktion der Leiche. Die Beerdigung wurde abgeblasen. Die Rechtsmediziner fanden bei der Untersuchung des Leichnams schließlich Wunden, die von drei Messerstichen herrührten. Und mindestens ein Messerstich war tödlich.

Kein juristisches Nachspiel

Der 55-Jährige aus Prenzlau steht nun im Verdacht, seinen Saufkumpanen hinterrücks erstochen zu haben. Nach Angaben von Oberstaatsanwältin Lodenkämper bestreitet der Mann jedoch die Tat. Die Ermittler lassen sich nach dem Patzer der Notärztin jetzt erst einmal etwas Zeit: Auf Anftrag der Staatsanwaltschaft ist der 55-Jährige, der alkoholkrank ist, zunächst zum Entzug in eine geschlossene Klinik untergebracht worden. Bei der Anklagebehörde in Neuruppin herrscht dennoch immer noch Fassungslosigkeit über den Fall. „Wir waren sprachlos“, sagte Lodenkämper. Solch ein Fall einer übersehenen Todesursache sei ihr während ihrer Berufslaufbahn bislang nicht untergekommen. Für die Notärztin hat der Vorfall kein juristisches Nachspiel. „Wir ermitteln nicht“, sagte Lodenkämper.

Bemerkenswert ist der Fall auch aus einem anderen Umstand. Das Rechtsmedinizische Landesinstitut, aber auch Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg beklagen seit Jahren die hohe Dunkelziffer nie entdeckter unnatürlicher Todesfälle. Rautenberg forderte auch, dass nur Rechtsmediziner oder entsprechend geschulte Ärzte Leichenschauen auch in Krematorien durchführen dürfen. Durch Studien sei bekannt, dass es zu Fehldiagnosen bei der Todesfeststellung kommt, deren Anteil bis zu 80 Prozent beträgt. Der Leiter der Rechtsmedizin des Landes, Jörg Semmler, beklagte noch 2013, dass fast nirgends sonst in Europa so wenig obduziert werde wie im Land Brandenburg. „Nur noch ein Prozent der Toten wird obduziert. Es gibt eine hohe Dunkelziffer unentdeckter Morde“, sagte Semmler.

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