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BERLIN-BLOCKADE: Parole West: Frieren und durchhalten

Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt, rief Ernst Reuter. Auf die ganze Stadt. Die Blockade galt West-Berlin, doch auch der Ostteil war betroffen. Stalin versuchte in der noch nicht durch die Mauer getrennten Stadt, die Abschnürung propagandistisch zu nutzen und den Sozialismus als überlegen darzustellen – leiden mussten darunter die Ost-Berliner.

Stunde um Stunde warteten Berlins amtierende Oberbürgermeisterin Louise Schroeder und Bürgermeister Ferdinand Friedensburg am 22. Juni 1948 im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße auf eine sowjetische Weisung. Um Mitternacht endlich, Frau Schroeder war schon gegangen, erhielt Friedensburg den Befehl Nummer 111/48 des sowjetischen Oberbefehlshabers Marschall Sokolowski, wonach die überstürzt für die Sowjetzone per 23. Juni angeordnete Währungsreform in ganz Berlin gelten sollte. Die Gegenbefehle der Westmächte lagen dem Magistrat vormittags vor: Einbeziehung der Westsektoren Berlins in die am 20. Juni in den Westzonen erfolgte Währungsreform. Der Kampf um Berlin hatte begonnen.

Die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung im Neuen Stadthaus begann mit zweistündiger Verspätung, denn „Arbeiterbrigaden“ drangen pöbelnd in den Plenarsaal ein; einige Verordnete bezogen Prügel. Magistrat und Stadtverordnete lehnten die Ostwährung für Berlin ab, ausgenommen die SED-Vertreter.

In der Nacht zum 24. Juni sperrte die Sowjetmacht den gesamten Güter- und Personenverkehr zwischen den Westzonen und Berlin zu Lande und zu Wasser, außerdem alle östlichen Strom- und Warenlieferungen für West-Berlin. So begann aus Anlass der Währungskrise die sowjetische Blockade. Die Westsektoren sollten ausgehungert und die Westmächte aus Berlin vertrieben werden. Doch dank der amerikanisch-britischen Luftbrücke, die zwei Tage darauf geschlagen wurde, kam es ganz anders. Über die drei Luftkorridore wurden 2,015 Millionen West-Berliner mit dem Nötigsten versorgt. Der amerikanische Oberbefehlshaber General Lucius D. Clay ging als Vater der Luftbrücke in die Geschichte ein, Ernst Reuter als der große Volkstribun, der den Durchhaltewillen der West-Berliner organisierte. Reuter war nur Verkehrsstadtrat im Magistrat, als Oberbürgermeister durfte er nach seiner Wahl 1947 wegen des sowjetischen Vetos nicht amtieren, aber er war die alles überragende Stimme Berlins.

Flugzeuge brachten an Lebensmitteln, was platzsparend möglich war: Eipulver und Milchpulver, Kartoffelpuder namens POM, Trockengemüse, Trockenkartoffeln, Trockenobst. Das Brummen der Rosinenbomber wurde zur Lebensmelodie der Bedrängten. Weiße Staubwolken hingen über den Flughäfen Tempelhof und Gatow, wenn Mehl aus Kanada entladen wurde. Verbrauchsgüter kamen aus der Luft, Medikamente, Maschinen, schwere Rollen Zeitungspapier, sogar die Einzelteile für das Kraftwerk West in Ruhleben (Kraftwerk Reuter). Kohlen und Benzin aber waren die wichtigste Fracht. Bald landete alle drei Minuten ein Flugzeug, an Rekordtagen alle 63 Sekunden. Die Entladung ging so fix, dass zwischen Landung und Start ganze 27 Minuten lagen. Mit dem Bau des Flughafens Tegel in kurzer Zeit trugen auch die Franzosen zur Luftbrücke bei. Die Sendetürme des Berliner Rundfunks in Tegel standen im Wege; der französische Stadtkommandant, General Jean Ganeval, ließ sie sprengen. Seine Antwort auf den sowjetischen Protest, wie er das habe fertigbringen können: „Mit Dynamit.“ Der Kalte Krieg tobte, die Menschen darbten. Doch sie lebten lieber von der Hand in den Mund, als das sowjetische Angebot anzunehmen, die Lebensmittelkarten im Ostsektor zu beziehen und dort ihre Rationen zu kaufen. So etwas taten nur „Herr Schimpf und Frau Schande“, wie der Schmähruf lautete. Täglich gab es zweimal zwei Stunden Strom zu wechselnden Zeiten, ging man eben nachts zum Friseur. U-Bahn und Straßenbahn verkehrten nur bis 18 Uhr, Busse überhaupt nicht. Die S-Bahn ratterte natürlich, sie fuhr ja in sowjetischer Regie. Der Schwarzmarkt blühte. Auch wer Angehörige im Osten hatte, kam mitunter zu Köstlichkeiten wie Obst, Gemüse, Kartoffeln, ein paar Kohlen extra. Man durfte sich nur nicht von den Grenzkontrolleuren Ost erwischen lassen, die alles beschlagnahmten.

Zahlreiche Betriebe mussten schließen oder auf Kurzarbeit umstellen, die Zahl der Arbeitslosen stieg und stieg. Am schlimmsten war der Blockade-Winter in ungeheizten Wohnungen mit Petroleumfunzeln; Kerzen waren Luxus. Tagsüber waren die Wärmehallen überfüllt, spät nachmittags die Kinos. Man ging früh schlafen, hübsch nacheinander; die einzige Wärmflasche wanderte von Bett zu Bett. Hausfrauen, Mütter, Trümmerfrauen leisteten in dieser Not schier Übermenschliches. Doch jeder verstand, was Ernst Reuter sagte: „In Berlin ist es kalt, aber in Sibirien ist es viel kälter!“

Überdies hatte man mit der absurden Doppelwährung zu kämpfen. Im Osten war die Westmark verboten, die übrigens mit dem B-Stempel markiert war, B wie Berlin. Die West-Berliner bekamen 75 Prozent ihrer Löhne und Gehälter in Ost, nur 25 Prozent in West; Rentner, Unterstützungsempfänger und Grenzgänger, die im Osten arbeiteten, mussten sich mit zehn Prozent West begnügen. Dafür waren Mieten, rationierte Lebensmittel, Steuern, Fahrgeld und Briefmarken in Ost zu bezahlen. Man spottete über die „Tapetenmark“ oder „Klebemark“, denn anfangs waren die alten Reichs- und Rentenmarkscheine einfach mit Kupons überklebt.

Erst nach Wochen wurde das Ostgeld gedruckt. Die Westmächte wiesen den Magistrat zur Buchführung in Ost an und zu möglichst vielen Ausgaben in Ostgeld, die sie von Fall zu Fall in West eintauschten. Doch die Russen legten ihre schwere Hand auf die Konten im Ostsektor. Erst am 20. März 1949 endete das Durcheinander: Endlich war die Westmark alleiniges Zahlungsmittel in West-Berlin.

Die Seelen wärmten sich an den Kundgebungen, zu denen Hunderttausende strömten. Und sie wärmten sich am Kabarett „Die Insulaner.“ Da durfte man über all das lachen, was zum Weinen war.

Oft war es gefährlich in der Luft, wenn sowjetische Jäger in den Korridoren auftauchten oder dort gar Übungen veranstalteten. Schließlich aber kapitulierte Moskau vor dem Erfolg der Luftbrücke. Die Blockade wurde am 12. Mai 1949 beendet, die Luftbrücke erst am 30. September. Der Freiheitskampf war bestanden, aus den westlichen Besatzungsmächten waren Freunde geworden, die einheitliche Stadtverwaltung allerdings war zu Bruch gegangen.

Am 6. September 1948, nach schweren SED-gesteuerten Tumulten und Verhaftungen im Neuen Stadthaus und vor dem Gebäude, tagten die Stadtverordneten ohne die SED-Kollegen im Studentenhaus der TU, britischer Sektor. Zu den Verhafteten gehörte der Tagesspiegel- Reporter Wolfgang Hanßke, der erst 1955 schwer krank aus der Sowjetunion zurückkehrte. Die legendäre Kundgebung vom 19. September 1948 auf dem Platz der Republik vor der Reichstagsruine, in der Ernst Reuter die Völker der Welt um Hilfe rief, war ebenfalls eine Antwort auf die Tumulte. Als Demonstranten die Rote Fahne vom Brandenburger Tor holten, schoss die Ostpolizei; der 15-jährige Wolfgang Scheunemann starb an einem Bauchschuss. Die SED besiegelte die Spaltung am 30. November 1948 mit der Ausrufung eines „provisorischen demokratischen Magistrats“ bei einer Massenveranstaltung im Admiralspalast. Berlin hatte nun zwei Oberbürgermeister: im Osten Fritz Ebert, Sohn des einstigen Reichspräsidenten Friedrich Ebert, im Westen Ernst Reuter.

Das Luftbrückendenkmal in Tempelhof erinnert an die 78 Todesopfer der Luftbrücke: 41 Briten, 31 Amerikaner, 6 Deutsche. Berlin musste noch viele Krisen durchstehen, aber ohne dieses West-Berlin unter dem schützenden Schirm der Westalliierten wäre der Tag der Einheit wohl nicht gekommen.

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