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Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Peter Wittkamps Kolumne „Ist doch wahr": "Muss man jetzt auf Tinder Maske tragen, um nicht als Hallodri zu gelten?"

Was macht jemand, der oder die sich im Frühjahr gesagt hat: Dieses Jahr finde ich die große Liebe? Über das Leid der Singles im Lockdown.

Ich habe den großen Vorteil und den großen Nachteil, dass ich diese Zeit der Isolation mit einer kleinen Familie durchstehen darf und muss. Statt den besten Netflixserien gucke ich Peppa Wutz, statt eines Buchs lese ich eher die Gebrauchsanweisung des neusten Kinderspielzeugs und statt der Tagesschau schaue ich öfter aus der Wäsche. Neulich hat der Kleine auf den Teppich gepinkelt und meine einzige Reaktion darauf war die Hoffnung, dass er damit vielleicht seine Joghurtflecken rausspült. Man stumpft mit der Zeit etwas ab.

Ständig diskutieren wir über Pflegekräfte, aber niemand interessiert sich für die Singles

Aber: Ich bin immerhin nicht alleine. Ich darf den Shutdown Nummer zwei mit Freundin und Kind verbringen – zumindest, solange Karl Lauterbach das weiterhin erlaubt. Es sind also immer drei Leute bei mir zu Hause. Wenn hier jemand krank wird, wären wir fast schon ein Superspreader-Event. Auf jeden Fall ist immer etwas los. Da wird einem so schnell nicht langweilig. Wenn man es mal positiv ausdrücken möchte.

Sehnsucht als Ware. Ein Werbe-Wandbild in Berlin-Mitte.
Sehnsucht als Ware. Ein Werbe-Wandbild in Berlin-Mitte.

© Imago/Bildgehege

Wenn ich dann aber mal dem ganzen Irrsinn entfliehe und mich alleine mit einem Bier (okay, zweien) auf eine Bank am Paul-Lincke-Ufer setze und über die großen und kleinen Dinge des Lebens nachdenke (warum hat Peppa Wutz immer beide Augen auf der gleichen Seite des Kopfes?), fällt mir etwas auf: Es gibt in Berlin ja auch jede Menge Menschen, die ständig alleine sind. Fachleute sprechen hier von Singles. Wie geht es denen eigentlich gerade? Ständig diskutieren wir über Pflegekräfte, Schüler, Gastronomen oder den Wendler, aber niemand interessiert sich für die Singles. Allen egal. Außer mir natürlich. Zumindest beim dritten Bier auf der Bank am Ufer.

All the best women are married. Und der Rest hat verdächtige Symptome

Wie ärgerlich muss es gerade für jemanden sein, der sich im Frühjahr gesagt hat: Dieses Jahr finde ich aber wirklich die große Liebe! Ja, Pustekuchen! Da hat Corona dir leider einen dicken Abstrich durch die Rechnung gemacht. All the best women are married. All the handsome men are gay. Und der Rest hat verdächtige Symptome.

Die Maskenpflicht ist ein großer Vorteil für alle, denen das Liebesglück bisher aufgrund einer unvorteilhaften Mundpartie verwehrt geblieben ist.
Die Maskenpflicht ist ein großer Vorteil für alle, denen das Liebesglück bisher aufgrund einer unvorteilhaften Mundpartie verwehrt geblieben ist.

© Imago/Westend61

Nun gibt es 2020 aber nicht nur interessante Neuerungen wie Aerosole, sondern auch die Möglichkeiten, online Liebe oder zumindest jede Menge Verrückte zu finden. Aber wie funktioniert tindern im Lockdown? Muss man auf seinem Profilbild eine Maske tragen, um nicht als verantwortungsloser Hallodri zu gelten? Das wäre natürlich ein großer Vorteil für alle, denen das Liebesglück bisher aufgrund einer unvorteilhaften Mundpartie verwehrt geblieben ist.

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Und vor allem: Wie trifft man sich, um zu überprüfen, ob die im Chat aufblühende Grundsympathie sich auch real fortsetzen könnte? Ich stelle mir vor: erst mal ganz normal. Bisschen hin- und herschreiben. Lügen, dass man sich sehr für Kunstaustellungen und Kochen interessiert. Drei Zentimeter mehr bei der Größe, fünf Kilo weniger beim Gewicht. Der andere hat ebenso clever geschummelt und man mag sich. Wo aber soll das erste Date statt finden? Und: Sind Dates noch erlaubt?

Gag-Schreiber, Autor, Tagesspiegel-Kolumnist: Peter Wittkamp.
Gag-Schreiber, Autor, Tagesspiegel-Kolumnist: Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Also muss man kurz Karl Lauterbach anrufen und fragen, ob sich derzeit überhaupt noch zwei Personen treffen dürfen. Er sagt so was wie „Laut einer neuen, interessanten Studie aus Harvard, die gerade in der Wissenschaft heftig diskutiert wird und auch meine Aufmerksamkeit gefunden hat: ausnahmsweise“. Gut, wäre das geklärt. Aber wenn er ohnehin gerade am Telefon ist, bitte auch unbedingt fragen, wann und warum er aufgehört hat, Fliegen zu tragen und wie es sich so bei Markus Lanz im Studio wohnt.

Das Problem: draußen sehr kalt, Bars sehr geschlossen

Nun muss aber ein Ort gefunden werden. Am besten draußen, denn in die Wohnung will man jemand eigentlich Fremdes ja wohl erst mal lieber nicht lassen. Problem: draußen sehr kalt, Bars sehr geschlossen. Man überlegt kurz, was noch übrig bleibt und beschließt dann, die Zooabteilung im Karstadt soll es sein. Da ist es warm. Da gibt es Tiere. Und welche bessere Umgebung kann es für eine neue Liebe geben als umringt von Zwergkaninchen, Hamstern und weißen Mäusen!

Da kommt auch schon hinter den Pflanzen für das Aquarium der potentielle Traumprinz hervor, die Prinzessin oder jemand, der solche Kategorien komplett ablehnt. Doch was ist das? Ein heftiger Verstoß gegen die Niesetikette! Einfach in die Hand gehustet. Und die Maske sieht aus wie 14 Tage nicht gewaschen. Also doch eher Hallodri. Schnell die Flucht ergreifen, bevor man entdeckt wird. Wieder nach Hause. Tinder an. Alles von neuem. Also, ich hätte da keinen Bock drauf. So schlecht ist Peppa Wutz jetzt auch nicht.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat drei Jahre lang die mehrfach preisgekrönte Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und an schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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