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© Günter Peters

Plage: Allgemeine Radlosigkeit

Überall in der Stadt vergammeln Fahrräder. Die Gründe für diese Unsitte sind vielfältig, und manche Täter sind selbst auch Opfer.

Der Tod im Allgemeinen ist sehr privat. Viele Fahrräder jedoch sterben öffentlich: Tausendfach ist ihr Siechtum zu besichtigen: lehnend, hängend, liegend. Ausgeweidet und rostig, vom Schloss im Diesseits gehalten. Mancherorts prägt der Anblick das Bild der Stadt wie Graffiti. Besonders trist sieht es rings um Bahnhöfe aus. Die Frage, wer Täter ist und wer Opfer, führt auf ein weites Feld.

„Mein Fahrrad wurde im Hof nachts so zusammengetreten, dass es nicht mehr fuhr“, beginnt eine Geschichte. Nach der Diagnose „unrettbar“ ging auch noch der Schlüssel verloren. Schließlich verschwanden der Korb vom Gepäckträger, die Klingel vom Lenker. Der Anfang vom Ende. Eines Tages zog die Besitzerin weg. Radlos. „Dass in dem Hof schon andere Leichen standen, hat die Hemmschwelle gesenkt“, sagt sie.

Das wiederum zwingt Verwalter zu Gegenmitteln. Ein Hausbesitzer berichtet von Aushängen mit einem Stichtag für die Räumung. Zum Termin sei nur eines von elf Rädern verschwunden. Die anderen habe er abgeschnitten und für ein paar Euros auf dem Flohmarkt verkauft. Ruinen auf Bahngelände werden nach Auskunft eines Bahnsprechers mit einer Warnbanderole beklebt, etwa eine Woche später weggeräumt – und dann noch drei Monate als Fundsache aufbewahrt, falls der Besitzer sich ihrer entsinnen sollte. Nebenher überprüfe die Bundespolizei die Rahmennummern, um Diebesgut zu finden. Am Ende heißt es: Schrott zu Schrott, Brauchbares zur Versteigerung. Etwa 80 Stück kämen pro Quartal in Berlin unter den Bahn-Hammer.

Anderswo leben Fahrradleichen länger. Ein Vater berichtet, dass er nach der Geburt seines Sohnes auf Bus und Kinderwagen umgestiegen sei. Der Sohn ist jetzt drei, und das Rad wartet noch immer an einer Laterne nahe der Philharmonie, gesichert von einem Motorradschloss.

Andere Tätergeschichten beginnen mit einem nicht reparierten Platten und enden mit einem Umzug. Einer, der in Amsterdam studiert hat, berichtet, dass man dort das günstige (weil geklaute) Gebrauchtrad vom Junkie der teuren Reparatur vorzog. Und jemand, der in Charlottenburg bei Kaiser’s zwei Tüten wegzuschleppen hatte, ließ das Rad vorm Laden, wo erst das Hinterrad verschwand, dann der Lenker und schließlich der Rest. Letzteres könnte den Leuten von Ordnungsstadtrat Marc Schulte (SPD) zu verdanken sein. Der sagt, man drehe etwa alle zwei Monate eine Runde mit einem großen Lieferwagen. Ein Versteigerer rufe die Mühlen im Zehnerpack auf, sofern sie noch halbwegs brauchbar sind. Der Rest wird verschrottet, die Kosten trägt der Bezirk, da Fahrradbesitzer sich nicht ermitteln lassen. Aber die Entsorgung sei kein großer Posten im Etat.

Ein großes Übel ist der Vandalismus, der vor allem Zweitfahrräder in den Tod reißt, die nachts an Bahnhöfen stehen. „An der Yorckstraße ist mir das drei Mal passiert“, berichtet frustriert ein frisch gebackener Fußgänger, der vor dieser Zerstörungswut kapituliert hat.

Der Fahrradbeauftragte des Senats kennt dieses Problem. „Das ist auch eine Frage der Optik“, sagt Benno Koch: Die neuen überdachten Anlehnbügel animierten weniger zu Vandalismus als die im Volksmund „Felgenkiller“ genannte Sparvariante, die nur das Vorderrad hält und laut Bauordnung längst nicht mehr zulässig ist. Vor allem Discounter aber installieren diese Klemmen unverdrossen weiter.

Die Ordnungsämter der Bezirke reagieren teils auf Bürgerhinweise und teils auf eigene Beobachtungen. Wracks würden mit einem zähen gelben Klebepunkt markiert und später vom Tiefbauamt entfernt, berichtet Marlies Meunier, die das Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg leitet. 45 Ruinen habe man 2008 beseitigt. Manchen Bezirksämtern hilft auf Wunsch auch die Stadtreinigung, aber BSR-Sprecher Bernd Müller spricht von „höchstens 100“ Einsätzen pro Jahr. Nur bei Verkehrsgefährdung reagiere man, in Abstimmung mit der Polizei, sehr schnell. Aber Fahrräder, die an verkehrsgefährdender Stelle sterben, sind selten.

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