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Von Tag zu Tag: Plitschplatsch Zwischen Baum und Borke

Gunda Bartels verschwimmt die Stadt vor Augen Im Schlosspark Schönhausen steht der Bezirk Pankow vor einem Dilemma: Er müsste die morschen Eichen absägen – aber in denen leben seltene Käfer.

Interessantes neues Lebensgefühl, das einem dieser Sommer beschert: Monsun in einer mitteleuropäischen Stadt. So ist das also. Dieses Rauschen, Tropfen, Gluckern, Dampfen. Der Regen, der im Baumscheibensee Blasen wirft. Das krisselige, schwer zu kämmende Haar. Die weggeworfene Fluppe, die in der Pfütze an der Bushaltestelle Kreise zieht. Der Geruch nach nassem Hund. Die Ratte, die am menschenleeren Sonntagmorgen in Neukölln zart und zutraulich aus einer Lache trinkt. Die Krähe, die ein paar Ecken weiter an einer feuchten, prompt zerreißenden Luftschlange zieht. Die Reste vom Wochenendfeste, durchgeweicht, weggespült. Die neue Woche, der die Stadt frisch gewaschen und erwartungsvoll entgegensieht. Wie das Wetter wird? Besser als Sonntag, ist prognostiziert. Montag vielleicht noch etwas Regen, Dienstag, Mittwoch wieder sonniger und wärmer, Donnerstag womöglich gar 28, 29 Grad und – schwülwarm. Monsun in der Stadt, verschwommen und schön.

Wer sich in lauen Nächten in den Schlosspark Schönhausen wagt, kann Besonderes erleben: Mit hörbarem Gebrumm kommt der Heldbock vorbeigeflogen. Der mit bis zu fünf Zentimeter Körperlänge stattliche Käfer mit seinen langen Fühlern ist äußerst selten. Dass er fliegt, ist noch viel seltener. Leider, denn sonst könnte er einem Konflikt davonschwirren, der gerade die Verwaltung an ihre Grenzen bringt. Bürger oder Käfer ist die Frage. Für beide Seiten gibt es gute Argumente.

Für die Bürger von Berlins einwohnerreichstem Bezirk Pankow gehört der Schlosspark zu den beliebtesten Oasen. Damit die uralten und teilweise morschen Eichen niemanden erschlagen können, lässt das Bezirksamt immer wieder Exemplare kräftig stutzen. Und dezimiert damit den Lebensraum der akut vom Aussterben bedrohten und deshalb bundesweit streng geschützten Heldböcke. Die leben fast ausschließlich in alten, schon kränkelnden und möglichst einzeln stehenden Eichen. Dabei bohren sie sich ins Holz und schwächen die Bäume weiter. In der historischen Literatur sei der Heldbock deshalb auch als „Großer schwarzer Wurm“ zu finden, weiß ein Forstexperte und betont zugleich, dass die Käfer wegen ihrer Seltenheit längst nicht mehr als Schädlinge gelten. Ein Kollege ergänzt: „Sie sind die Totengräber, aber nicht die Mörder.“

In Berlin sind nur noch vier überschaubare Populationen bekannt: auf der Pfaueninsel, im Grunewald sowie in den Pankower Schlossparks Schönhausen und Buch. Letzterer ist auch deshalb teilweise gesperrt. Weil Heldböcke so ortstreu sind, bedeutet die Fällung ihrer Bäume ihr lokales Aussterben.

Der Naturschutzbund Nabu hat die Heldböcke – und vor allem das Bezirksamt Pankow – schon länger im Auge. Jetzt droht der Landesvorstand dem Bezirk in einer Resolution mit rechtlichen Schritten. Trotz mehrfacher Anmahnung und verschiedener Gespräche habe die Verwaltung in mehr als einem Jahr kein Konzept vorgelegt, wie die Interessen von Besuchern mit dem Lebensrecht der Käfer in Einklang zu bringen seien. Stattdessen seien immer wieder Eichen gestutzt worden. Und zwar so, dass hinterher zwar alle morschen Äste weg waren – aber eben auch die Heldböcke. Der Nabu habe weitere Gesprächsversuche unternommen, „die aber vom Bezirksamt gar nicht gewünscht zu sein scheinen“, klagt Verbandssprecherin Anja Sorges. „Im Moment sind wir wachsam und gucken, dass nicht weiter an den Bäumen herumgeschnippelt wird.“

Das Problem beschäftigt inzwischen große Teile des Bezirksamtes, dessen nach der Wahl 2011 reformierte Struktur die Sache allerdings zusätzlich erschwert: Für die Verkehrssicherungspflicht ist das Tiefbauamt zuständig, für die Bäume das Umweltamt, für die historisch korrekte Bewahrung des Parks der Denkmalschutz. Bei so bedeutenden Rote-Liste-Tieren wie dem Heldbock ist außerdem die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Gestalt der Obersten Naturschutzbehörde involviert. Denn laut Gesetz haben die Käfer Anspruch auf einen Masterplan zu ihrer langfristigen Rettung. Wegen seiner besonderen Ansprüche wäre ihnen auch mit Geld allein nicht geholfen, denn sie lassen sich kaum auf junge oder im Wald stehende Eichen umsiedeln.

Die Pankower Stadträtin Lioba Zürn- Kasztantowicz (SPD) als Urlaubsvertretung ihrer eigentlich zuständigen Bezirksamtskollegen berichtet, dass das Dilemma präsent, aber eben enorm schwierig zu lösen sei. Nach ihrer Erfahrung seien derart ressortübergreifende Themen am besten durch gemeinsame Termine und Absprachen zu regeln. Bei einer solchen Runde sei bereits vereinbart worden, dass der Nabu alle beteiligten Ämter für die langfristige Abstimmung an einen Tisch holt.

Auch der Senat hofft auf den Verein: Man habe dem Nabu geraten, für die Heldböcke ein „EU-Life“-Projekt zu beantragen, weil das die Verwaltung selbst nicht tun könne, sagt Petra Rohland von der Stadtentwicklungsverwaltung. Und: „Es wird weitere Gespräche geben.“

Die Nabu-Aktivisten allerdings verzweifeln allmählich an der Erfahrung, bei sämtlichen Ämtern offene Türen einzurennen, hinter denen durchaus gutwillige, aber allein nicht entscheidungsbefugte Menschen sitzen. Zumal die konsequente Lösung im Sinne des Käfers zugleich die unpopulärste wäre, nämlich die Sperrung von Teilen des Parks. Perspektivisch allerdings wird es sich aus Sicht von Fachleuten kaum vermeiden lassen, beispielsweise Wege zu verlegen und das Betreten von Teilflächen zu verbieten. Das den Bürgern zu erklären, wird die nächste Herausforderung. Stefan Jacobs

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