zum Hauptinhalt
Drogenrazzia im U-Bahnhof. Die Polizei fasst zunehmend Kinder beim Verkauf von Rauschgift.

© Imago

Jugendkriminalität: Kinder ohne Papiere außer Kontrolle

In Berlin wurden mehrfach Zwölfjährige beim Dealen erwischt. Dieses Problem behandelt auch das Buch der engagierten Richterin Kirsten Heisig.

Klare Worte. Die hat man von Deutschlands bekanntester Jugendrichterin immer erwartet. Nun, drei Wochen nach ihrem Selbstmord, erscheint Kirsten Heisigs Buch „Das Ende der Geduld: Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“ – auch darin ist die Juristin um schnörkellose Anklagen nicht verlegen. Und die im gerade erschienenen „Spiegel“ veröffentlichten Buchauszüge passen zur aktuellen Debatte um Berlins kriminelle Kinder: Innerhalb weniger Tage sind dieselben Jungen zweimal beim Drogenhandel erwischt worden, elf und zwölf Jahre alt, arabische Herkunft, einschlägig bekannt. In Heisigs Buch heißt es über solche Fälle schlicht: „Die Kinder wachsen weitgehend unkontrolliert in diesen kriminellen Strukturen auf.“

Gemeint sind arabisch-kurdische Großfamilien aus dem Südosten der Türkei, die teilweise im Libanon lebten und zu denen auch palästinensische Flüchtlinge gestoßen sind. Ausweise haben diese Familien oft nicht mehr, viele geben sich als staatenlos aus – aus Angst, abgeschoben zu werden. Mehr als sechs Kinder sind üblich, Verwandtschaftverhältnisse und Herkunft einzelner Mitglieder undurchsichtig. Im Zuge der Arbeit der früheren Ermittlungsgruppe „Ident“ des Landeskriminalamts wurden einige einschlägig bekannte Männer abgeschoben.

Heisig spricht von der „arabischen Drogenmafia“, die Kinder aus palästinensischen Flüchtlingslagern nach Deutschland schicke, wobei ihnen die Schleuser im Flugzeug die Papiere abnähmen, damit sie etwa von Tegel aus nicht gleich zurückgeschickt werden könnten.

Die 48-jährige Richterin Kirsten Heisig nahm sich das Leben. Demnächst erscheint ihr Buch.
Die 48-jährige Richterin Kirsten Heisig nahm sich das Leben. Demnächst erscheint ihr Buch.

© ddp

Einer der beiden Jungen, der kürzlich mit szenetypischen Drogenkügelchen für den Straßenverkauf erwischt wurde, lebt zwar in einer Jugendeinrichtung. An die Familien, in deren Umfeld sich die mit Heroin und Kokain handelnden Jungen bewegen, kämen Jugendämter aber kaum ran, die Clans verweigerten sich. In den Behörden werde Heisig zufolge gemunkelt: „Man kann kein Kind zwangsweise aus einem arabischen Clan nehmen. Die Familien erschießen jeden, der das versuchen sollte.“ Heisig schreibt aber auch, dass die meisten ihrer jugendlichen Klientel, also mindestens 14-Jährige, hierzulande geboren seien. Am Sonnabend hatte die SPD-Innenexpertin Bilkay Öney gesagt, dass Kinder dealten, sei in Berlin leider nichts Neues. Sie seien aber nicht nur aus dem Ausland eingeschleust, „wir haben in Berlin genug arme Kinder, die das machen“. Zu viele würden in hier kriminellen Milieus aufwachsen, hätten etwa Brüder, die mit Drogen handelten. „In manchen Vierteln herrschen Zustände, die vergleichbar sind mit der Bronx“, sagte Öney. Dem wurde aus Polizei- und Justizkreisen widersprochen, Berlin sei eine relativ sichere Großstadt, Vergleiche mit bestimmten US-Städten unbegründet. Selbst die einschlägigen Clans „beschäftigten“ nicht mehr als ein Dutzend kindlicher Drogenkuriere. „Das ist natürlich immer noch sehr schlimm“, sagte ein Beamter, „aber selbst bestimmte Kieze in Neukölln sind weit davon entfernt, von arabischen Clans kontrolliert zu werden.“ Richtig sei jedoch Heisigs Anregung, über geschlossene Jugendheime nachzudenken, die es in Berlin nicht mehr gibt.

Als Jugendrichterin hatte Heisig vor allem mit mehrfach aufgefallenen Neuköllner Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren zu tun. Die Juristin ist durch das von ihr konzipierte Neuköllner Modell bekannt geworden: Ziel ist eine schnell auf die Tat folgende Gerichtsverhandlung – maximal nach vier Wochen, sonst gilt die pädagogische Wirkung des Urteils als schwach. Für Schnellverfahren kommen nur Fälle in Betracht, bei denen als Strafe maximal ein Arrest von vier Wochen zu erwarten ist. Häufiger werden jugendliche Täter demnach mit Arbeitsstunden oder dem sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich belegt. Seit Juni wird das Neuköllner Modell in ganz Berlin angewandt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false