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Dieter Glietsch ist seit 2002 Polizeipräsident. In seiner Amtszeit ist er sehr nachdrücklich gegen Jugendgewalt vorgegangen. Ende Mai geht er in Ruhestand.

© Thilo Rückeis

Polizeipräsident Glietsch im Interview: "Kameras können Gewalt nicht verhindern"

Polizeipräsident Glietsch konnte ein Dilemma nicht lösen: Obwohl die Kriminalität sinkt, wächst die Unsicherheit der Berliner. Für den scheidenden Behördenchef war die Nazi-Demo eine Niederlage. Er wehrt sich aber gegen die Bekanntgabe rechter Aufzüge.

Ihre Amtszeit endet mit einem Eklat. Die Einsatzleitung hat am vergangenen Sonnabend die Gewaltbereitschaft der rechten Demonstranten falsch eingeschätzt. Die Beamten waren nicht vor Ort, als die Rechten mehrere Menschen verletzten.

Im Nachhinein wissen immer alle besser, was die Polizei vorher hätte wissen müssen. In diesem Fall hat der Einsatzleiter nicht damit rechnen können, dass die Rechten in der U-Bahn die Polizeikräfte überlaufen würden, um dann wieder auf die Straße zu stürmen. Wir wissen, dass man es bei den autonomen Nationalisten mit Leuten zu tun hat, die ein hohes Aggressionspotenzial haben und grundsätzlich auch gewaltbereit sind. Aber der Anmelder der Demonstration hat in der Vergangenheit häufig rechtsextreme Veranstaltungen angemeldet und störungsfrei durchgeführt. Die Polizei hat ihrer gesetzlichen Pflicht entsprechend den Versuch gemacht, den Anspruch der 100 Rechtsextremisten auf Durchführung ihres Aufzugs zu erfüllen. Dazu sollte die Gruppe durch den U-Bahnhof geführt werden, um die Blockade der 500 Gegendemonstranten zu unterlaufen. In dieser Situation war nicht zu erwarten, dass die Rechtsextremisten die Beamten überrennen und aus der Begleitung ausbrechen würden.

Müssen Sie davon ausgehen, dass Rechte die Polizei ebenso angreifen wie es die Linken tun?

Davon müssen wir in Zukunft selbst dann ausgehen, wenn die Polizei dabei ist, das Demonstrationsrecht der Rechten durchzusetzen. Wir werden auch prüfen, ob diesem Anmelder und seinem Anhang solche Aufzüge künftig noch gestattet werden können.

Warum gab es keine Festnahmen?

Weil die Polizei, obwohl sie in ausreichender Stärke am Ort war, von dieser Aktion überrumpelt wurde. Deswegen ist es nicht gelungen, zu verhindern, dass die auf der Straße sitzenden Blockierer überrannt, geschlagen und getreten wurden. Unsere Beamten sind ja genauso überrannt worden. Durch die eintreffenden Verstärkungskräfte ist das dann sehr schnell und konsequent gestoppt worden, Festnahmen waren aber in dieser Situation nicht möglich.

Teilnehmer haben gesagt, es habe nicht ausreichend Personenkontrollen gegeben, deswegen konnten die Rechten sehr starke Böller werfen, von denen auch ein Polizist schwer verletzt wurde.

Es sind selektive Vorkontrollen durchgeführt worden. Dabei sind aber keine verbotenen Gegenstände festgestellt worden. Ob tatsächlich Böller mitgeführt worden sind und ob Böller von Links oder Rechts oder von beiden Seiten geworfen wurden, muss die Auswertung zeigen. Fest steht aber, dass Gewalt nicht nur von Rechtsextremen ausgegangen ist, sondern auch von Teilnehmern an der Blockadeaktion. Es sind Beamte angegriffen worden, als sie den Lautsprecherwagen der Rechten schützen mussten. Es musste auch gegen Personen vorgegangen werden, die Rechtsextreme nach der Beendigung des Aufzugs darin hindern wollten, sich zu entfernen.

Ist dies ärgerlich am Ende ihrer Dienstzeit?

Ein solcher Einsatzverlauf ist immer ärgerlich.

Ist es richtig, die Demonstrationsroute künftig nicht mehr geheimzuhalten, sondern vorher öffentlich zu machen, wie Innensenator Körting ankündigt?

Man muss vom Grundproblem ausgehen: Die Polizei ist verpflichtet, auch rechtsextreme Versammlungen und Aufzüge zu ermöglichen – das wird leider von vielen, die uns jetzt wieder kritisieren, nicht akzeptiert. Sie wollen rechtsextreme Aufzüge durch Blockaden verhindern und meinen, die Polizei sei verpflichtet, sie so früh wie möglich zu informieren, damit sie ihre rechtswidrigen Verhinderungsaktionen zeitgerecht organisieren können. Dass sich dabei regelmäßig auch linksextreme Gewaltbereite beteiligen, für die Polizisten ebenso Hassgegner sind wie Rechtsextremisten, wird dabei hingenommen. Vor diesem Hintergrund gibt es nach meiner Überzeugung keine generelle Verpflichtung der Polizei, Orte und Zeiten rechtsextremer Demonstrationen bekannt zu machen. Es bedarf vielmehr einer sorgfältigen Abwägung der widerstreitenden Interessen in jedem Einzelfall.

Hat Berlin bei der Jugendgewalt eine Trendwende geschafft?

Es ist schwierig, das zu beurteilen. Fest steht, dass wir in der langfristigen Entwicklung der Gewaltkriminalität eine deutlich positivere Entwicklung haben. Wir haben heute weniger Rohheitsdelikte als 2002, während es bundesweit massive Steigerungen gab. Berlin hat bei Rohheitsdelikten ein hohes Belastungsniveau, das ist auch nicht verwunderlich bei einer 3,4-Millionen-Metropole mit einer schwierigen Sozialstruktur. Aber wir sind dabei, uns herunterzuarbeiten.

Die Zahlen der Gewaltvorfälle gehen zurück, doch das Bedrohungsgefühl im öffentlichen Raum wächst.

Wir schaffen es nicht, das Sicherheitsgefühl so zu stärken, wie wir uns das wünschen, weil Bilder brutaler Einzeltaten ständig ein dramatisches Medienecho finden. Auf die Veröffentlichung der Bilder können wir aber nicht verzichten, weil sie uns helfen, die Täter zu ermitteln. Jede Tat aber wirkt im Bewusstsein der Menschen nach und beeinträchtigt ihr Sicherheitsgefühl. Mit diesem Dilemma müssen wir leben.

Es entsteht der Eindruck: immer mehr Gewalt.

Ja, so wird die Diskrepanz zwischen Sicherheitsgefühl und objektiver Sicherheit immer größer und die Polizei hat kaum die Chance, das zu ändern.

Helfen mehr Kameras und länger gespeicherte Bilder gegen Gewalttaten?

Die verbesserte Videoüberwachung im U-Bahnnetz ist sinnvoll. Dass Aufnahmen gespeichert, rund um die Uhr selektiv betrachtet werden können, ist ein wichtiger Schritt. Verbesserte Videoüberwachung unterstützt nicht nur die Strafverfolgung, sondern kann planmäßig handelnde Täter auch abschrecken. Die besonders brutalen Taten sind aber nicht geplant, sondern meist spontane, völlig zweckfreie Entladungen von Aggression aus nichtigem Anlass, oft unter Alkoholeinfluss und bei totalem Kontrollverlust. Bei diesen Delikten ist es wichtig, dass wir möglichst schnell eingreifen können. Diese Taten kann auch verbesserte Videoüberwachung nicht verhindern. Da sind wir auf Zivilcourage und schnelle Information durch Zeugen angewiesen.

Jetzt wird die Einsatzreserve mit 60 Personen eingesetzt – wenn kein anderer Einsatz dazwischenkommt. Eine Mogelpackung?

Nein. Wir haben kein Konzept zur wundersamen Personalvermehrung erfunden und das auch deutlich gesagt. Wie intensiv wir diese 60 Mann für mehr Sicherheit in der U-Bahn nutzen können, ist abhängig davon, wie stark die Landeseinsatzreserve für die Aufgaben benötigt wird, für die sie gedacht ist: für unvorhersehbare Unterstützungseinsätze. Wenn wir auf einem anderen Arbeitsfeld aktuell mehr tun müssen, dann steht die Reserve eben nicht mehr mit 60 Mitarbeitern in der U-Bahn zur Verfügung, sondern nur noch mit Teilkräften.

Brauchen wir in Berlin wieder mehr Polizisten im Vollzugsdienst?

Ich bin froh, dass wir trotz der Sparhaushalte seit 2003 die 16 160 Stellen halten konnten. Die Frage, ob Berlin mehr Polizisten braucht, kann man nur politisch beantworten. Wenn die Politik will, dass mehr für das Sicherheitsgefühl in dieser Stadt durch mehr Polizisten auf der Straße oder in der U-Bahn getan wird, dann brauchen wir mehr Polizisten. Die objektiven Daten und Fakten zur Sicherheitslage Berlins in den vergangenen zehn Jahren aber begründen keine Forderung nach mehr Personal.

Weil Personal fehlt, kann die Polizei die zunehmende Aggressivität nicht ahnden, Regelübertretungen, Fahren über rote Ampeln …?

Nein. Für die Verkehrssicherheit gilt dasselbe wie für die Kriminalität: Das Gefühl, es wird ständig alles schlimmer, steht im Widerspruch zu den Fakten. Die Verkehrsunfallstatistik belegt eindeutig, dass der Verkehr sicherer geworden ist. Die Zahl der Verkehrstoten hat sich seit 2002 halbiert, die Zahl der Verunglückten lag 2010 um 15 Prozent unter dem Wert von 2002. Es gibt auch keinen Beleg dafür, dass ständig mehr Leute bei Rot über die Kreuzung fahren oder die Raserei zunimmt. Der Berliner haben aber das Gefühl, die Aggressivität im Straßenverkehr ist ständig größer geworden.

Weil so wenig kontrolliert wird, gibt es auch keine Zahlen.

Kontrolliert wird schon, und es gibt auch dazu Zahlen. Aber das Gefühl orientiert sich auch hier nicht an den Zahlen. Richtig ist: Der Verkehr in Berlin ist dichter geworden, das Verkehrsgeschehen wirkt hektischer. Aber es ist dadurch nicht alles gefährlicher geworden.

Ist nach dem relativ friedlichen 1. Mai ein Ende des Gewalt-Rituals in Sicht?

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die gute Entwicklung weitergeht. Vor Ausreißern aber ist man nie sicher.

Es gibt wieder mehr brennende Autos.

Wir haben mehr als 1000 gewaltbereite Linksextreme in Berlin.Da überrascht es die Polizei nicht, wenn nach einer Phase, in der die Zahl von Brandstiftungen an Autos deutlich zurückgegangen ist, jetzt wieder ein Anstieg festzustellen ist. Die Bekämpfung der linksextremen Gewalt wird nicht vernachlässigt, sie darf aber nicht nur der Polizei überlassen werden.

Nutzen Linksradikale soziale Probleme wie Mietsteigerungen als ideologische Deckung für Gewalttaten?

Ja, natürlich. In Berlin sind Probleme der Stadtentwicklung oder die sogenannte Gentrifizierung immer wieder zum Begründungsvorwand genommen worden für linksextreme Gewalttaten.

Bedeutet das, dass die Politik sich zu wenig um diese Probleme kümmert?

Das würde ich so nicht sagen. Linksextremisten werden immer einen Begründungszusammenhang konstruieren für ihre Gewalttaten. Für mich ist eher die Frage von Bedeutung, was die Politik tun kann, damit diese Taten keine positive Resonanz finden. Als es beim Thema Media Spree um Gentrifizierung und Verdrängung ging, da äußerten auch durchaus bürgerliche Menschen Sympathie und Verständnis für militante Aktionen mit der Argumentation, die haben doch recht. Wenn die Stadtentwicklung es nicht hinbekommt, Menschen mitzunehmen in Veränderungsprozessen, dann steigen die Chancen linksextremer Gruppen, Sympathie und Unterstützer zu gewinnen.

Und die Polizei wird mit Aufgaben belastet, deren Ursache sie nicht lösen kann.

Wenn Probleme der Stadtentwicklung von gewaltbereiten Linksextremisten zur Mobilisierung und zur Rekrutierung von Nachwuchs genutzt werden können, dann ist es nicht nur die Polizei, die das letztlich ausbaden muss.

Interview: Gerd Nowakowski

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