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Vier Menschen starben bei dem schweren Verkehrsunfall im September 2019, darunter ein dreijähriger Junge.

© Paul Zinken/dpa

Update

„Vier Tote – es ist grausam für die Angehörigen“: Staatsanwalt fordert Bewährung für SUV-Fahrer von Berliner Invalidenstraße

Vier Menschen starben bei einem schweren Unfall 2019 in Berlin. Die Staatsanwaltschaft fordert anderthalb Jahre Haft auf Bewährung für den angeklagten Fahrer.

Immer wieder fiel das Wort Verantwortung: Rund zweieinhalb Jahre nach dem schweren Unfall mit vier getöteten Fußgängern in der Invalidenstraße in Berlin-Mitte hat die Staatsanwaltschaft auf eine Strafe von eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung plädiert. Michael M. sei der fahrlässigen Tötung in vier Fällen und der Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig zu sprechen, beantragte der Ankläger am Mittwoch. „Er hätte auf keinen Fall fahren dürfen“, sagte der Oberstaatsanwalt. Es hätte sich eigenverantwortlich informieren müssen, ob er fahrtauglich war.

Die Anklage geht davon aus, dass der damalige Fahrer eines Porsche Macan am 6. September 2019 am Steuer saß, obwohl er wegen einer strukturellen Epilepsie und einer nur einen Monat zurückliegenden Gehirnoperation nicht in der Lage gewesen sei, das Auto sicher zu führen. Wegen des zweiten epileptischen Anfalls in seinem Leben habe M. die Kontrolle über den Wagen verloren. „Er verkrampfte in diesem sehr, sehr schnellen Auto, trat das Gaspedal voll durch und traf mit 102 bis 106 Stundenkilometern die Personengruppe“, sagte Oberstaatsanwalt Dirk Klöpperpieper.

Das fast zwei Tonnen schwere 400-PS-Auto preschte auf die Gegenfahrbahn, raste gegen einen Poller, überschlug sich und überfuhr vier Fußgänger. Ein dreijähriger Junge, seine Großmutter und zwei Männer starben.

„Vier Tote – es ist grausam für die Angehörigen, sie leiden schwer“, hieß es weiter im Plädoyer des Anklägers. Niemals hätte sich der inzwischen 45-jährige Unternehmer M. an dem Tag hinter das Steuer seines hochmotorisierten Fahrzeugs setzen dürfen. „Schon gar nicht bei der Vorgeschichte“, sagte der Oberstaatsanwalt weiter. Ein Fahrverbot habe für ihn bestanden. M. sei von einem Neurologen zehn Tage vor dem Unfall daran erinnert worden, dass er nicht Auto fahren dürfe. Zwar seien die ärztlichen Risikobelehrungen „unzureichend und teilweise nicht eindeutig“ gewesen, doch M. hätte sich informieren müssen. Jeder Verkehrsteilnehmer sei verantwortlich, seine Fahrtauglichkeit zu prüfen.

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Entgegen ärztlichen Hinweisen fuhr er wieder Auto

Michael M. hatte im Mai 2019 – ein halbes Jahr vor dem Unfall – einen ersten epileptischen Anfall erlitten. Danach hatte er sich entschlossen, einen festgestellten kleinen Hirntumor minimalinvasiv entfernen zu lassen. Die Operation erfolgte im August 2019 in der Schweiz. Der Chirurg gab M. mit auf den Weg, dass er vier Wochen aufs Autofahren verzichten und sich von einem Neurologen untersuchen lassen solle.

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Was ihm Mediziner erklärten, hielt er allerdings für eine Empfehlung. Entgegen ärztlichen Hinweisen saß er einen Monat nach seinem ersten epileptischen Anfall wieder am Steuer.

„Gelegentlich kürzere Strecken“ sei er gefahren, sagte der Geschäftsmann zu Prozessbeginn Ende Oktober. Er habe ein Medikament erhalten und gedacht: „Wenn es am Tage passiert, merkt man es und hat es unter Kontrolle“. Er sei sich sicher gewesen, dass er mit Medikamenten und der Operation alles getan habe, um einen zweiten epileptischen Anfall auszuschließen.

Unternehmer ist nicht vorbestraft

Seine kleine Tochter und seine Mutter saßen mit im Auto, als er die Kontrolle verlor und vier Menschen zu Tode fuhr. „Die Hinterbliebenen haben einen Teil ihres Lebens verloren“, sagte ein Anwalt der Nebenklage in seinem Plädoyer. Ein Verlust, der nicht wiedergutzumachen ist. „Ein schwarzes Loch, das sie alle zu verschlingen droht.“ Es wäre hilfreich gewesen, „wenn Herr M. Verantwortung übernommen hätte“. Damals habe er ich verantwortungslos verhalten und habe gegen ärztliche Auflagen verstoßen. Nach dem Unfall habe er versucht, die Verantwortung auf behandelnde Ärzte zu schieben.

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Fahrlässige Tötung wird mit Freiheitsstrafen von einem Monat bis fünf Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Die Nebenklage-Anwälte stellten nun keinen konkreten Strafantrag. Sie beantragten aber die Einziehung der Fahrerlaubnis. Außerdem solle das Landgericht eine empfindliche Geldauflage gegen M. verhängen.

Der Unternehmer ist nicht vorbestraft und hat auch beim Kraftfahrtbundesamt keine Eintragungen. Ihm sei auch zugute zu halten, dass er zutiefst bedauere, Ärzte von der Schweigepflicht entbunden und bereits ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro gezahlt habe, sagte der Oberstaatsanwalt. Nach der Operation aber hätte er eine eingehende neurologische Untersuchung abwarten müssen. Ein Jahr lang hätte er nicht fahren dürfen.

Die Verteidigung soll am 9. Februar plädieren. Sie hatte zuletzt massive Zweifel an Angaben eines damaligen Neurologen ihres Mandanten geäußert. Er habe nach dem Unfall die elektronische Patientenakte hinsichtlich einer angeblichen Risiko- und Sicherheitsaufklärung ergänzt, sogar manipuliert, argumentieren die Verteidiger. Es sei im August 2019 keine Risikoaufklärung erfolgt. Nach bisherigen Planungen will das Landgericht am 17. Februar ein Urteil verkünden.

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