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Berlin: Potsdam ist ein Dorf

Hans-Joachim Weiß schuf früher Kunstorte für die Defa. Jetzt widmet er sich zeichnerisch der realen Stadt.

Potsdam - „Alle malen immer nur die Potsdamer Schlösser“, sagt Hans-Joachim Weiß. Dem Potsdamer Künstler war das zu einseitig. Stattdessen machte er sich, ausgestattet mit Skizzenblock und Stift, auf den Weg durch die Innenstadt zwischen Holländerviertel und Luisenplatz und machte dort vor allem versteckte Hinterhöfe und Eckhäuser zu seinen Motiven. Seit Freitag sind etwa 60 seiner Arbeiten, lavierte Federzeichnungen und Aquarelle, die auf Grundlage der Skizzen entstanden sind, in einer Ausstellung im Bürgerhaus am Schlaatz zu sehen sein.

Weiß ist in Potsdam kein Unbekannter: Bei der Defa in Babelsberg machte er nach dem Krieg seine Ausbildung als Bildhauer für Film und Fernsehen und arbeitete dort bis 1959. In vielen der legendären Defa-Märchenfilme war er für den Bau der Kulissen mitverantwortlich – unter anderem auch bei dem Klassiker „Der kleine Muck“. Ein anderes Mal hat er für einen Film eine ganze Tropfsteinhöhle errichtet. Auch an Propagandafilmen musste er mitwirken, doch am liebsten seien ihm immer die Märchenfilme gewesen, sagt der heute 77-Jährige.

Der in Breslau geborene Weiß war schon als Kind vom Zeichnen begeistert und bannte im Garten seiner Eltern jede Blume und jeden Baum auf Papier: „Ich habe fast mehr gezeichnet als mit meinen Freunden gespielt“, sagt Weiß. Seine Zeichensachen hütete er wie einen kostbaren Schatz, den niemand durcheinander- bringen durfte.

Der Krieg setzte dem ruhigen Leben in Breslau ein Ende: Weiß war neun Jahr alt, als er aus seiner Heimatstadt flüchten musste. Der Junge erlebte aus der Entfernung die Bombardierung von Dresden mit, als er gerade im Zug saß. „Der Zug fuhr in die brennende Stadt ein“, erinnert er sich. Nach einer Reise durchs Land kam Weiß 1949 erst nach Caputh, dann nach Potsdam – und blieb dort. Als Defa-Bildhauer konnte er schon als Jugendlicher schnell Erfolge feiern.

Einige seiner Bildhauer-Kollegen wohnten damals noch in West-Berlin. „Die Arbeit der FDJ war bei uns gleich null – wir hatten durch den Kontakt zu den Kollegen aus West-Berlin einfach zu viel vom Westen erfahren.“ Das bereitete ihm nicht selten Probleme: „Wenn ich von Verwandten im Westen erzählte und sagte: ‚Da sind die Leute nicht alle arbeitslos‘, habe ich dafür einige Nackenschläge bekommen.“

Später war Weiß als Kunsterzieher der Förderschule „Schule an der Insel“, tätig, wo er 20 Jahre lang das Schülerprojekt „Asphalt und Kreide“ leitete, das junge Künstler zu Straßenmalereien animierte. Bis heute arbeitet der pensionierte Künstler am liebsten unter freiem Himmel – so wie bei seiner jüngsten Serie. Auf vielen seiner idyllischen Hinterhofporträts steht keine Ortsangabe: „Das sollen die Besucher ruhig selber herausfinden“, sagt Weiß. „Sie können hier sozusagen einen kleinen Spaziergang durch Potsdams Hinterhöfe machen.“ In lebendigen, selten exakt geraden Linien hat Weiß die alltägliche Romantik von Orten eingefangen, die man oft gar nicht hinter den Fassaden geschäftiger Shoppingstraßen vermuten würde. Es dürfte nicht die letzte Arbeit von Hans-Joachim Weiß gewesen sein, denn die Zeichenleidenschaft hat ihn noch lange nicht verlassen: „Wenn ich im Atelier angefangen habe zu malen oder zu zeichnen, muss meine Frau irgendwann kommen und fragen: ‚Willst du nicht mal was essen?‘“

Die Ausstellung ist im Bürgerhaus am Schlaatz im Schilfhof 28 bis zum 23. April zu sehen.

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