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Berlin: Premiere mit Stromausfall

Das Schlossparktheater erinnert an die Wiedergeburt des Kulturlebens 1945

Die Direktion war schockiert. Ihr Schlossparktheater Tatort einer Betrügerei! Ein raffinierter Trick mit Eintrittskarten und Garderobenmarken! Missbrauch von geistigem Gut! Die Öffentlichkeit sei gewarnt.

Kulturbeflissen, doch ohne Ticket war „ein junges Mädchen“, wie es hieß, zum Theater in der Steglitzer Schloßstraße gekommen. Es fand sich ein junger Mann, der eine Karte übrig hatte. Gemeinsam betrat man das Foyer, gab die Mäntel ab, die Marken steckte der freundliche Herr ein. In der Pause ging er raus – und ward nie wieder gesehen. Der Mantel der Theaterfreundin auch nicht. Ein paar hundert Mark seien damit auf dem Schwarzmarkt zu verdienen, spekulierte die Direktion.

Die Episode aus dem Januar 1948 ist sicher nichts, womit man als Bühne Staat machen könnte, aber doch typisch für die Nachkriegszeit und daher auch für die Geschichte des Hauses, das sich dieser Tage seiner Anfänge erinnert. Vor 60 Jahren, am 3. November 1945, wurde der Musentempel mit Curt Götz’ Komödie „Hokuspokus“ wiedereröffnet. Das Schlossparktheater feiert dies am Jahrestag mit einem Festakt samt Galavorstellung des Musicals „Die Drei von der Tankstelle“.

Bereits 1921 bis 1934 war der ehemalige Wirtschaftstrakt des Wrangelschlösschens bespielt worden, danach diente er als Kino. Im Spätherbst 1945 versuchten Boleslaw Barlog und Siegfried Nestriepke mit ihrem Städtischen Schloßpark-Theater Steglitz einen Neubeginn. Schon bald weckten sie auch verwerfliches, durchaus kunstfernes Interesse: Wenige Tage vor der Eröffnung wurde das Bühnengestühl entwendet, das zur Renovierung in einem Schuppen untergebracht war. Zum Glück konnte man es rechtzeitig wiederbeschaffen.

Es war nicht die erste Berliner Bühne, die nach Kriegsende wiederbespielt wurde. Zum 1. September 1944 war per Führerbefehl die Schließung aller Theater in Deutschland verfügt worden, bei Kriegsende stand von den etwa 50 Häusern in Berlin kaum noch die Hälfte, und nur wenige waren noch bespielbar. Doch schon nach kurzer Zeit, Indiz für den immensen Hunger nach Kultur, wurden die ersten Bühnen provisorisch wiedereröffnet. Den Anfang machte am 27. Mai das Renaissance-Theater in der Hardenbergstraße, dessen Inneres weitgehend intakt geblieben war. Genehmigt vom sowjetischen Militärkommandanten, wurde in einer alten Staatstheater-Inszenierung die Posse „Der Raub der Sabinerinnen“ gespielt, eine angesichts der Erfahrungen der Berlinerinnen mit den Besatzern doch überraschende Stückwahl. Die Premiere war pannenreich, wie der Theaterkritiker Fritz Erpenbeck berichtet: „Im entscheidenden Moment blieb der Strom fort; die Elektrizitätswerke arbeiteten noch ganz sporadisch, und das Kabelnetz wurde durch gelegentliche Explosionen bald da, bald dort zerrissen oder durch Kurzschlüsse infolge fortwährender unterirdischer Wasserrohrbrüche unterbrochen. Endlich, am dritten Abend, nach einem neuerlichen Anmarsch durch Trümmer und Staub, sahen wir den Vorhang mit einiger Verspätung sich heben. In der Pause sah ich bewährte ,Leute vom Bau’, die natürlich den Großteil der Zuschauer ausmachten, vor Ergriffenheit weinen.“ Als Anfang Juli die Briten Charlottenburg übernahmen, ließen sie das Renaissance-Theater auf Dauer eröffnen, beschlagnahmten es aber schon bald für die Truppenbetreuung.

Das Musiktheater konnte seinen Neubeginn ebenfalls in Charlottenburg, im Theater des Westens in der Kantstraße feiern. Am 4. September wurde dort Beethovens „Fidelio“ aufgeführt, in einer Inszenierung der Städtischen Oper, deren Spielort in der Bismarckstraße, 1912 ebenfalls mit „Fidelio“ eröffnet, am 23.November 1943 ausgebombt worden war. Erst 1961 zog das Ensemble in den Neubau, der seither Deutsche Oper Berlin heißt. Das Orchester der Oper hatte bereits am 18. Mai 1945 im Senderaum des Berliner Rundfunks in der Masurenallee das erste Berliner Symphoniekonzert nach Kriegsende gegeben.

Auch in der Bildenden Kunst herrschte nach dem 8. Mai Aufbruchstimmung. Frühes Zentrum der Aktivitäten war das heutige Hotel Bogota in der Schlüterstraße 45/Ecke Kurfürstendamm, in den letzten Kriegsjahren Sitz der Reichskulturkammer. Als die Briten das Gebäude übernahmen, fanden sie – neben einem aus dem Jüdischen Museum in der Oranienburger Straße geraubten Selbstporträt Max Liebermanns – noch viele Personalakten von Künstlern vor, machten das Gebäude kurzerhand zum Ort ihrer Entnazifizierungsverfahren für Kulturschaffende. Hier wurde auch am 3. Juli der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ gegründet, der nach der Teilung in der DDR fortbestand, sowie kurz zuvor die Kammer der Kunstschaffenden beim Magistrat von Berlin. Diese organisierte zum 25. Juli die erste größere Kunstausstellung in Berlin nach dem Krieg, mit Werken von Hofer, Beckmann, Pechstein und anderen Künstlern, die wenige Monate zuvor noch als „entartet“ gegolten hatte.

Die Kinos begannen bereits Mitte Mai wieder zu spielen, nur knapp 20 hatten das Inferno überstanden. Anfangs dominierten sowjetische Filme. Anfang Juni beispielsweise begann der sowjetische Verleih Sojusintorgkino, betreut von Regisseur Wolfgang Staudte, mit der Synchronisation von Sergej Eisensteins „Iwan der Schreckliche“, der ab Anfang August im Marmorpalast und im Filmtheater am Friedrichshain zu sehen war. Doch bald schon schloss Hollywood auf, es hatte einiges nachzuholen. Teilweise wurden dem deutschen Publikum dabei auch alte Bekannte geboten – so am 1. November, also zwei Tage vor der Premiere im Schlossparktheater, in einem Film von 1941. Der Tagesspiegel kündigte ihn als „Wiedersehen mit Peter Lorre“ an, heute ist er längst ein Klassiker: „Die Spur des Falken“.

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