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Problemkinder: Auffällige Schüler sollen besser gefördert werden

Fachleute beklagen: Psychische Probleme werden zu spät diagnostiziert. Jetzt reagiert die Verwaltung.

Schwierige und aggressive Lernanfänger sollen in der Schule gezielter unterstützt werden, damit sie nicht unnötig in der Psychiatrie landen. Künftig soll es wieder möglich sein, extrem verhaltensauffällige oder lernbehinderte Kinder schon in der ersten Klasse als besonders förderbedürftig einstufen zu lassen. „Wir müssen auf die Not reagieren“, heißt es dazu inoffiziell aus der Senatsverwaltung für Bildung: Die entsprechende neue Verordnung muss noch von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) unterzeichnet werden.

Seit Inkrafttreten des Schulgesetzes im Jahr 2004 häufen sich die Probleme bei den Lernanfängern, weil alle Kinder unabhängig von ihrer Entwicklung erst mal in die regulären Klassen eingeschult werden. Damit folgt die Politik dem Ziel, möglichst wenig Kinder auszusondern oder zu stigmatisieren. Als Konsequenz wurden die rund 5000 Förderausschüsse abgeschafft, die bis dahin vor der Einschulung geklärt hatten, ob einem Kind wegen Lernbehinderung oder Verhaltensstörung zusätzliche Betreuung zustand.

Das Ergebnis ist an vielen Schulen ein Desaster: Da sich längst nicht alle Lehrer bei den Kitas über die Vorgeschichte der Erstklässler informieren und sie eben auch keine Hinweise der Förderausschüsse mehr erhalten, stehen die Pädagogen zu Schuljahresbeginn vor rund 20 bis 28 Kindern, von denen etwa ein Drittel größere Defizite hat. Selbst wenn sie bald herausfinden, welche Kinder eine Lernbehinderung haben und welche massiv gestört sind, hilft ihnen das wenig: Zusätzliche Sonderpädagogenstunden können sie nur bekommen, wenn es in der Schule oder im Bezirk zufällig noch freie Kapazitäten gibt. Erst zum Ende der zweiten Klasse dürfen diese Kinder offiziell als Problemfälle „gelabelt“ werden.

Dass dies zu spät ist, zeigt sich unter anderem an der steigenden Zahl von Kindern, die in die Psychiatrie überwiesen werden müssen. Kinder- und Jugendpsychiater lassen keinen Zweifel daran, dass viele dieser Kinder in den Kliniken fehl am Platz sind. Allerdings wissen sich die Eltern, Lehrer oder Schulpsychologen mangels anderer Angebote mitunter nicht anders zu helfen.

Der Direktor der Vivantes-Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Oliver Bilke, hatte sich schon im Sommer 2006 mit einem Alarmbrief an die Senatsverwaltungen für Bildung und Gesundheit gewandt und darauf hingewiesen, dass der Wegfall von Spezialklassen „zu der von Fachleuten befürchteten Psychiatrisierung von Schuleinstiegsproblemen geführt“ habe (wir berichteten). Es gebe „eine Anzahl von stationären und ambulanten Fällen“, bei denen Erstklässler „vom jetzigen Schulangebot nicht aufgefangen werden können“. Die Folge sei, dass die Kliniken sogar Sonderschulen in Brandenburg suchen müssten, um Kindern zu helfen.

Damals hieß es seitens der Bildungsverwaltung, die „Lehrerhaltung“ müsse sich ändern, und im Übrigen sollten sich Sonderpädagogen gezielter um die Risikokinder kümmern. Das allerdings ist kaum möglich, denn der Stellenpool für die Integration behinderter oder gestörter Kinder ist gedeckelt, was bedeutet, dass keine neue Stelle hinzukommen darf – egal wie stark der Bedarf steigt.

Was da in den letzten Jahren passiert sei, nennt Gerhard Schmid „Experimente mit Kindern“ und „verantwortungslos bis auf die Knochen“. Der Oberschulrat,der auch Regionalsprecher des Bundes Freiheit der Wissenschaft ist, hatte ebenso wie die FDP-Schulpolitikerin Mieke Senftleben von Anfang an vor diesen Aspekten des Schulgesetzes gewarnt. „Man hätte wenigstens die Vorklassen erhalten müssen“, meint auch Klaus Seifried vom Berufsverband deutscher Psychologen. Er ist Leiter der Schulpsychologie in Tempelhof-Schöneberg und hat deshalb ständig mit den Folgen der Schulreform zu tun.

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