Neuer Stadtführer: "Berliner Spaziergänge": Proletarier, Poeten und ein lustiger Kater
Flanieren durch Berlin: Therese Schneiders neun Berliner Entdeckungstouren bieten selbst routinierten Stadtspaziergängern vielerlei Überraschungen.
„Für Eile fehlt mir die Zeit“ – so bringt Kabarettist Horst Evers sein Lebensmotto auf den Punkt. Recht hat er. Warum nicht die kostbare freie Zeit, die einem im Alltag bleibt, öfter entspannt und genussvoll verbringen? Vielleicht mit ein wenig Müßiggang als Flaneur in Berlin?
Für diese Kunst gibt es zwar schon etliche Anleitungen, aber die Autorin Therese Schneider hat nun ein Büchlein vorgelegt, das selbst routinierten Stadt-Spaziergängern noch vielerlei Überraschungen beschert. Sie nimmt ihre Leser zu neun höchst individuell gestalteten Touren mit. Dabei öffnet sie die Augen auch für unscheinbare Orte am Wegesrand, die man glatt übersieht, obwohl sie mit spannenden Geschichten verbunden sind.
Da wäre zum Beispiel das Haus Tassostraße 21 in Weißensee. Draußen hängt eine Tafel mit einem lustigen Katerkopf – zum Gedenken an Werner Klemke, dem populären Illustrator der DDR. Hier wohnte und arbeitete er. Klemke gestaltete hunderte Kinder- und Jugendbücher, außerdem zeichnete er von 1955 bis 1990 für die Zeitschrift „Das Magazin“ 423 Titelbilder – auf denen nie sein Kater fehlte.
In der Friedenauer Niedstraße war Erich Kästners Büro
Eine Straße der Dichter ist hingegen die Niedstraße in Friedenau. In der Nr. 3 war Erich Kästners Büro , in der 10 lebte Naturalist Max Halbe, die 14 war Uwe Johnsons Adresse, Günter Grass bezog die 15. Therese Schneider führt ihre Leser auch in den verbotenen Bezirk Hohenschönhausen, durch Stalinismus und Moderne oder die proletarische Mietskasernenstadt – und verwebt ihre Erzählungen geschickt mit einer Fülle literarischer Zitate.
Auch am Denkmal für die jüdischen Bürger Berlins „Der verlassene Raum“ am Koppenplatz in Mitte hält sie inne. Dieses traurige Schicksal hatte der galizische Jude Kaftan in Walter Mehrings Theaterstück „Der Kaufmann von Berlin“ wahrlich nicht geahnt, als er die Stadt 1929 so begrüßte: „Scholem alejchem Berlin. Do bin ich! A Giten Tog. West du mir sein a freund?“
Therese Schneider: Berliner Spaziergänge. Die schönsten Wege durch die Stadt. be.bra Verlag, Berlin. 172 Seiten, 233 farbige Abbildungen, 16 Euro
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