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Lagerfeuer statt Räumung. Nach der Besetzung der Kreuzberger Gerhart-Hauptmann- Schule am Sonnabend durch die Flüchtlinge und Kiezinitiativen verzichtete der Bezirk auf einen Polizeieinsatz. Stattdessen kam Bürgermeister Franz Schulz (unten links) zum Schulgelände und verhandelte im Schneetreiben mit den Aktivisten.

© dpa

Protest gegen Asylpolitik: Flüchtlinge kämpfen für ihr Winterquartier

Ob am Brandenburger Tor oder am Oranienplatz in Kreuzberg: Die in Berlin protestierenden Flüchtlinge frieren. In der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule will die Kreuzberger Fraktion nun überwintern. Doch der Protest soll auch weitergehen.

Utopia versinkt im Schnee. Und auch der Schriftzug „für eine herrschaftsfreie Gesellschaft“. Der steht gleich unter dem rot gepinselten Wort „Utopia“ auf dem Transparent am Eingang der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg. Die wirbelnden Flocken verhüllen den revolutionären Aufruf, als wollte der Winter den Aktivisten in die Parade fahren. Aber die lassen sich auch vom Wetter nicht vertreiben. Martin Schwarz, dick vermummt gegen den Frost, schleppt einen großen Kochtopf am Transparent vorbei. „Ein heißes Süppchen muss jetzt sein“, ruft der 33-Jährige, bevor er in einem Eingang verschwindet. Es ist Sonntagmittag. Die Besetzer richten sich ein. Es sind die Flüchtlinge und ihre Helfer vom Camp am Kreuzberger Oranienplatz, aber auch die Mitglieder einer Initiative, die in einem Teil des weitgehend leer stehenden Schulhauses ein selbstverwaltetes Kultur- und Sozialzentrum schaffen will.

In der Gerhart-Hauptmann-Schule an der Ecke Reichenberger/Ohlauer Straße wird seit zwei Jahren nicht mehr unterrichtet. Nur ins Parterre des Hauptgebäudes ist inzwischen das Drogenhilfsprojekt „Fixpunkt“ eingezogen. Deshalb wird im Schulhaus weiterhin geheizt, es gibt Wasser und Strom. Ein guter Grund für die bis zu 40 Flüchtlinge am Oranienplatz und ihre Unterstützer aus der linken Szene, die Schule zu besetzen. Wie berichtet, drangen sie am Samstagnachmittag dort ein. Ihr bisheriges Zeltcamp, in dem sie seit Oktober leben, erfordert mehr und mehr den Überlebenswillen von Polarforschern.

Aymen aus dem Sudan steht am Infopoint des Camps am Oranienplatz und fröstelt selbst im wattierten Anorak. In seiner Heimat, die er „aus politischen Gründen“ verlassen musste, ist es jetzt tropisch warm. Etwa 30 Grad. In Kreuzberg schläft der 19-Jährige mit acht Mann in einem Zelt. „Immer nur kalt“, sagt er. Dicke Schlafsäcke und Gasheizungen sind da, reichen aber nicht aus. Nur ab und zu wärmt er sich tagsüber in einer Kneipe auf. Deshalb hofft Aymen nun auf das Schulhaus. „Allerdings“, sagt er und schaut dabei sehr entschlossen, „bleiben wir auch hier, am Oranienplatz. Auf jeden Fall.“ Und eine Sprecherin der Flüchtlingsinitiative bestätigt das. Die Schule brauche man im Winter „als Rückzugsort, zum Aufwärmen“. Dann zeigt sie auf die kleine Zeltstadt, auf deren Planen Schnee lastet. „Das ist unser zentraler Protestort. Gegen die Lagerpflicht und Residenzpflicht für Flüchtlinge und für den Stopp aller Abschiebungen. Daran halten wir fest.“

Ob die Besetzer vorerst geduldet werden oder nicht, darüber will das Bezirksamt am Dienstag beraten. Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) vertrat aber schon am Sonnabend eine liberale Linie. Bis zum Frühjahr könnten die Flüchtlinge wohl unterkommen, sagte er. Danach aber müsse das Hauptgebäude wieder frei sein für andere Interessenten, die sich dort voraussichtlich einmieten wollten. Dazu gehörten die Freie Schule Kreuzberg und ein Geburtshaus. Für die zweite Gruppe der Besetzer jedoch, die Aktivisten, die in einem Schulbungalow auf dem Gelände ein selbstverwaltetes Zentrum einrichten will, hat Schulz weniger Sympathien. „Die werden wir nicht dulden“, sagt er. Und denkt dabei vermutlich auch an die leidvolle Erfahrung des Bezirks mit den einstigen Besetzern des Künstlerhauses Bethanien. Nach der Aktion 2005 zog sich der Konflikt dort jahrelang hin.

Doch auch die Kiezinitiative gibt sich hart. Kochgeschirr, rote Gasflaschen, Tische schleppen junge Frauen und Männer im Schneetreiben zu dem ungeheizten Flachbau. Am Abend ist schon ein Konzert geplant. „So ein Zentrum braucht der Kiez“, sagt ein Sprecher. Das müsse auch Franz Schulz einsehen.

Am Hauptgebäude gegenüber hängt über zwei Etagen ein Plakat gegen Abschiebungen. Im Foyer, gleich links, heizt ein Radiator, rechts blickt Gerhart Hauptmann auf einer Fotografie streng von der Wand. Und ein paar Meter weiter fläzt sich Manfred Fischer mit seinem Laptop auf ein zerschlissenes Sofa, das die Besetzer vermutlich dort hingeschleppt haben. Der 22-Jährige ist hier der Aufpasser. „Bis hierher okay“, sagt er. „Oben ist Presse unerwünscht.“ Unterdessen wird der Flockenwirbel immer dichter. Die Transparente sind endgültig verweißt. Utopia ist verschwunden.

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