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Ein Gruppenfoto mit dem Personal des Victoria-Cafés aus dem Jahre 1902.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Provinzjahre einer Weltstadt

Berlin ist eine Reise wert: In der Kaiserzeit entwickelt sich die Stadt zum Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Bis Deutschland sich im Ersten Weltkrieg international isoliert.

Berlin bleibt doch Berlin. Zumindest, was die geografische Lage betrifft. „Berlin, die Hauptstadt des Deutschen Reiches und des Königreichs Preußen, liegt unter 52 Grad 31 Min. nördlicher Breite und unter 13 Grad 25 Min. östlicher Länge von Greenwich in einer Meereshöhe im Osten am Oberbaum von 31,38 Meter, im Westen am Unterbaum von 30,13 Meter über dem Spiegel der Ostsee“, heißt es im Abschnitt Statistik des Berliner Adressbuchs von 1915. „Das Weichbild der Stadt umfasst 6352,36 Hektar; davon waren am 1. Mai 1914 bebaut 3014,38, unbebaut 607,94, städtisch 147,91, privat 20,20, Kirchhöfe 107,81, Exerzierplätze 50,87, Eisenbahnterrain 420,44 und Wasserfläche 156,08 Hektar. Zu Anfang 1914 hatte Berlin 1074 benannte Straßen und 117 öffentliche Plätze sowie 100 Brücken.“

100 Jahre später zählt Berlin etwa 10 000 Straßen und Plätze und umfasst eine Fläche von 89 200 Hektar.

Im Jahr 1913 zählt Berlin mehr als 1,4 Millionen Touristen

Der Jahresausklang ist die Zeit für Bilanzen und Zahlen, darum lassen wir heute die Statistik sprechen. Passend dazu haben sich im Bild oben Direktion und Personal des Victoria-Cafés zu einer kleinen Bevölkerungspyramide der dienstfertigen Gastlichkeit gruppiert. Das Café mit dem dazugehörigen Hotel Victoria Unter den Linden 46 liegt an der nordöstlichen Ecke der Friedrichstraße und gehört zu „den großstädtischen Etablissements Berlins, in die sich vorzugsweise der mächtige Strom des Fremdenverkehrs ergießt, um sich da mit dem Gewoge des bodenständigen Lebens zu vermischen“, schreibt die Zeitschrift „Berliner Leben“ vom Dezember 1902. Die Geschäftsleitung verspricht „gediegene Pracht“ und den „Inbegriff des Café- Lebens“ am Knotenpunkt der Weltstadt. „Der Fremde ist hier schön, bequem, modern und angemessen versorgt.“

Zwölf Jahre später, im ersten Kriegswinter 1914/15, dürften einige der Abgebildeten die Dienstkleidung des Kaffeehauses mit dem Waffenrock getauscht haben. Die Schlachtfelder verschlingen die Jugend, die Bevölkerungspyramide bekommt arge Dellen.

Der Krieg setzt auch der Berliner Tourismuswirtschaft zu. „Die Zahl der in den hiesigen Gasthäusern, Hotels und anderen Herbergen abgestiegenen Fremden betrug im Jahre 1913: 1 430 009“, heißt es im Berliner Adressbuch von 1915. „Davon kamen 289 350 Personen aus dem Auslande, insbesondere aus Österreich 49 361, aus der Schweiz 7387, aus Belgien 4678, aus Holland 9812, aus Dänemark 12 512, aus Schweden 17 216, aus Norwegen 4871, aus England 18 514, aus Frankreich 13 501, aus Italien 4354, aus Spanien 1808, aus Portugal 1025, aus Russland 101 251, aus den Balkanstaaten 4423, der Türkei 1301, aus Asien 1625, aus Afrika 1967, aus Amerika 32 209, und aus Australien 1242.“ Im Kriegsjahr 1917 kommen nur noch 34 524 ausländische Touristen, davon allein 13 695 aus Österreich-Ungarn. Nur 49 Engländer und fünf Franzosen übernachten in Berliner Herbergen.

Im letzten Friedensjahr 1913 hatte Berlin noch einen Bevölkerungszuwachs verzeichnet: 321 036 kamen in diesem Jahr in die Stadt, 284 258 Menschen zogen weg, das macht einen Gewinn von 36 778 neuen Einwohnern – etwa so viele Neuberliner, wie die Stadt heute jedes Jahr zählt. Unter der Gesamtbevölkerung von 2 079 156 sind 1913 etwa 70 000 nichtdeutsche Staatsangehörige: 30 788 Österreicher, 5398 „Russen und Finnländer“, 4910 „Ungarn und Kroaten“, 1809 Italiener, 1516 Schweizer, 1514 Engländer und 408 Türken. Bis 1917 allerdings sinkt die Einwohnerzahl um 16 Prozent auf 1,7 Millionen. Die Weltstadt schrumpft.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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