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Späte Einsicht. Am ersten Prozesstag legte der Angeklagte Denny H. ein weitreichendes Geständnis ab.

© dpa

Prozess gegen falschen Aida-Schiffsarzt in Berlin: Zeugen sagen über Hochstapler Denny H. aus

Heute wird der Prozess gegen den falschen Aida-Arzt Denny H. fortgesetzt. Patientenschützer fordern neue Regeln. Und ein anderer berühmter Hochstapler ist richtig sauer.

Glaubt man dem Anwalt des Angeklagten, ist Denny H. kein einziger fachlicher Fehler unterlaufen – weder als falscher Schiffsarzt auf der Aida noch als Möchtegern-Anästhesist in einer Charlottenburger Praxis. Es habe nie Beschwerden gegeben, immer nur Lob! Ob dies Glück war, ob ein Patient gar hätte zu Tode kommen können, soll am heutigen zweiten Verhandlungstag ein Sachverständiger erklären. Auch mehrere Patienten werden als Zeugen aussagen und dabei ihren früheren Arzt, der keiner war, erstmals wiedersehen.

Sieben Prozesstage sind angesetzt, das Urteil wird erst für den 8. August erwartet. Bis dahin will das Gericht auch klären, wie genau Denny H. jahrelang Urkunden, Zeugnisse und Lebensläufe fälschen konnte, ohne aufzufliegen. Sascha Rudat von der Berliner Ärztekammer unterstellt dem Angeklagten ein „außergewöhnliches Maß an krimineller Energie“, zudem seien die Fälschungen „handwerklich gut gemacht“ gewesen. Vermutlich hätte Denny H. noch weitere Jahre praktizieren können, hätte er es nicht übertrieben: Ende 2014 beantragte er bei der Berliner Ärztekammer einen neuen Ausweis, sein jetziger sei verloren gegangen.

Diesmal wollte er sich allerdings „Cato“ als zweiten Vornamen sowie zusätzlich einen Doktortitel eintragen lassen. Die eingereichte Eheurkunde sah verdächtig aus – die Kammer begann nachzuforschen. „Hätte er diese zwei Zusätze nicht gefordert, sondern nur einen neuen Arztausweis“, sagt Sascha Rudat, „hätten wir ihm den sehr wahrscheinlich ausgestellt, ohne den Betrug zu bemerken.“

Ein fehlerhaftes System?

Der Berliner Hochstapler sei kein Einzelfall, sondern Symptom eines größeren Problems, heißt es bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz (DSP). Erst vor zwei Wochen wurde im nordrhein-westfälischen Düren ein Mann verurteilt, der ohne abgeschlossenes Studium jahrelang als Klinikarzt praktiziert hatte. Vergangenes Jahr stand in Regensburg ein falscher Schönheitschirurg vor Gericht, der Patienten ohne Fachwissen mit Silikon und Botox behandelt hatte. „Das System ist fehlerhaft“, sagt DSP-Vorstand Eugen Brysch. „Wir machen es den Kriminellen viel zu leicht.“ Der Großteil der Hochstapler ließe sich durch zwei Änderungen stoppen. „Vor Ausstellung der Approbation müsste automatisch die Echtheit des Staatsexamens abgefragt werden, und zwar direkt beim zuständigen Prüfungsamt“, sagt Brysch. „Parallel dazu sollte ein Zentralregister aller approbierten Ärzte angelegt werden.“ Dieses könne bei der Bundesärztekammer liegen.

Zudem findet Eugen Brysch das Strafmaß zu niedrig. Skandalös sei etwa, dass der falsche Arzt aus Düren lediglich zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. „Bei uns in der Region gibt es einen Vogelhändler, der Singvögel eingefangen und verkauft hat und dafür auch schon ein Jahr auf Bewährung bekam.“ Das stehe doch in keinem Verhältnis. Was Menschen wie Denny H. im Einzelnen antreibe, wisse er nicht, sagt Eugen Brysch.

„Dieser Mann hat billigend den Tod von Menschen in Kauf genommen“

Vielleicht weiß es Gert Postel. Der 58-Jährige gilt als berühmtester Hochstapler Deutschlands. In den 1980er Jahren praktizierte er als „Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy“ in Flensburg, nach der Wende bekam er die Stelle des Oberarztes in einem sächsischen Fachkrankenhaus für Psychiatrie. Tatsächlich ist Postel gelernter Postzusteller. Nach mehreren Jahren Haft lebt er heute in Tübingen. Mit dem Fall des Berliner Angeklagten Denny H. sei er natürlich vertraut, sagt Postel am Telefon. Allerdings hege er „keinerlei Sympathien für diesen Mann, und ich sehe auch keine Parallelen zu meinem eigenen Fall, ganz im Gegenteil.“ Gerade als Schiffsarzt auf der Aida habe Denny H. nicht wissen können, in welche Situationen er habe geraten können und welches Wissen dazu nötig gewesen wäre. „Dieser Mann hat billigend den Tod von Menschen in Kauf genommen.“ Die Taten von Denny H. halte er „für unverantwortlich und moralisch höchst verwerflich“. Er selbst dagegen habe über enormes Fachwissen verfügt und niemanden gefährdet. Außerdem habe er nicht aus finanziellen Gründen gehandelt, was ihm in der Öffentlichkeit viele Sympathien eingebracht habe. Das könne Denny H. nicht erwarten: „Er wird ganz sicher niemals einen Star-Status wie ich erreichen.“ Den Satz meint er ernst.

Gert Postel glaubt, dass Denny H. am Ende überführt wurde, weil der Berliner sich das unterbewusst wünschte. „Es lastet ja ein ganz enormer Druck auf einem. Bei mir war es die Einsamkeit, ich war total isoliert, denn mit einem solchen Geheimnis konnte ich keine Beziehung und auch keine enge Freundschaft eingehen.“ So seien Denny H.s Fehler, die schließlich die Ärztekammer misstrauisch machten, auch kein Zufall gewesen, sondern sicher das Ergebnis einer „unterbewussten Entlastungshandlung“. Fast vergisst man, dass hier ein gelernter Postbote spricht und nicht ein Psychiater.

Gert Postel sagt, er beschäftige sich derzeit auch beruflich mit dem Prozess gegen Denny H. Zur Urteilsverkündung will er einen großen Essay über den Prozess schreiben, er möchte ihn in einer großen deutschen Tageszeitung abdrucken lassen. Vor Ort im Gericht wird sich Postel aber nicht blicken lassen. Er sagt, so etwas schreibe sich besser aus der Distanz.

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