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300 Euro Strafe wegen Wäscheklammern?

© dpa

Strafbefehlsverfahren: Prozess wegen Wäscheklammern für 1,99 Euro

300 Euro Strafe wegen geklauter Wäscheklammern für 1,99 Euro? Mit dem sogenannten Strafbefehlsverfahren sollen gerade Fälle, die weniger schwerwiegend sind, schnell abgeschlossen werden. Die Justiz verteidigt das, die Grünen zweifeln dran.

Kaum saß die Frau vor dem Richter, machte sie ihrer Empörung Luft. „Hier geht es um läppische zwei Euro!“, schimpfte die 46-Jährige. Anna S. landete kürzlich als einer der sprichwörtlichen kleinen Fische auf der Anklagebank. Wäscheklammern soll sie in einem Supermarkt stibitzt haben. Wegen „Diebstahls geringwertiger Sachen“ war ihr ein Strafbefehl ins Haus geflattert. 300 Euro Strafe sollte sie zahlen – ohne einen Prozess. Die Frau aber legte Einspruch ein.

Eine Verhandlung, in der es um angebliches Diebesgut von 1,99 Euro geht? Es scheint absurd. Für Amtsrichter allerdings gehört auch das zum Alltag. Oft ist es in solchen Verfahren ein Einspruch gegen einen Strafbefehl, mit dem Beschuldigte einen Prozess erzwingen. Der Fall Anna S. (Name geändert) schien der Justiz eindeutig. Die Frau aber fühlte sich im Recht.

Die promovierte Literaturwissenschaftlerin war im März in Moabit ertappt worden. Ein Ladendetektiv angelte Wäscheklammern, bunt und verpackt, aus ihrer Tasche. Doch als Diebin sah sich Anna S. nicht. „Ich habe sie in dem Geschäft nur umgetauscht“, beharrte sie auch vor dem Richter. Sie habe mit einer früher gekauften Packung Pech gehabt. „Beim Anknipsen fielen einige auseinander.“ Weil sie keinen Kassenbon mehr finden konnte, habe man ihr den Umtausch im Markt verwehrt.

Sie zog ihren Einspruch zurück

„Ich habe mir eine neue Packung genommen und die alten Klammern in einen Karton in Kassennähe geworfen“, sagte die Angeklagte. Sie gab noch zu: „Ich hatte mir eine andere Sorte genommen – etwas stabiler und mit Blümchen drauf.“ Der Richter atmete tief durch: „Sie haben eine andere Klammersorte geklaut, als Sie umtauschen wollten!“ Der Verteidiger sah nun alle Felle davonschwimmen. „Der Verbraucherschutz, darum ging es mir“, sagte sie noch. „Sie können nicht an fremder Leute Sachen gehen“, konterte der Richter. Sie zog ihren Einspruch zurück und muss 300 Euro (zehn Tagessätze zu je 30 Euro) zahlen.

Mit dem sogenannten Strafbefehlsverfahren sollen gerade Fälle, die weniger schwerwiegend sind, schnell abgeschlossen werden. Das entlastet die an so vielen Stellen überlastete Justiz. Aber muss eine Frau wie Anna S. für ihren unerlaubten „Umtausch“, eine Bagatelle, tatsächlich bestraft werden? „Wir müssen erstmal ermitteln, wenn es einen Anfangsverdacht gibt“, erklärt Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Erhärtet sich der Verdacht, gibt es eine Anklage. Es gebe auch die Möglichkeit, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen – gemäß Paragraf 153 der Strafprozessordnung: Wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen sei und es kein öffentliches Interesse gebe.

„Das hängt aber immer von den Gesamtumständen ab: Wie hoch ist der Schaden, ist der Täter einsichtig, war es das erste Mal?“, erläutert Steltner. „Beim ersten Ladendiebstahl wird das Verfahren häufig eingestellt, wenn der Täter einsichtig ist.“

Grünen sehen es als Ordnungswidrigkeit

Die Grünen würden einfachen Ladendiebstahl am liebsten nur noch als Ordnungswidrigkeit behandeln. „Wir setzen uns seit langem für eine Entkriminalisierung von Delikten wie Schwarzfahren, einfacher Beleidigung oder Ladendiebstahl ein“, sagt der rechtspolitische Sprecher der Partei, Dirk Behrendt. Entschieden werden müsste dies aber auf Bundesebene, da sei eine Änderung des Strafgesetzbuches notwendig.

„Gerade bei Kleinstdelikten müssen wir uns fragen, ob sich der Aufwand lohnt. Wir sollten die Ressourcen der Justiz besser auf die Dickfische konzentrieren.“ Wenn etwa Ladendiebstahl als Ordnungswidrigkeit geahndet würde, würden die Geschädigten dennoch zu ihrem Recht kommen: sie könnten verlangen, dass das gestohlene Produkt ersetzt wird und ihre Ausgaben, etwa für Ladendetektive, erstattet würden.

"Diebstahl ist ein Diebstahl"

Sven Kohlmeier von der SPD sieht das anders. „Ein Diebstahl ist ein Diebstahl, auch wenn es nur um zwei Euro geht. Wir müssen uns fragen, wie wir es ahnden, wenn sich jemand über die Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hinwegsetzt.“ Er gibt außerdem zu bedenken, dass ein Bußgeldverfahren den Staat nicht unbedingt günstiger käme. „Die hohen Kosten entstehen vor allem dann, wenn Täter ihre Geldstrafe nicht zahlen können und deshalb ins Gefängnis müssen. Bei Bußgeldverfahren ist das aber auch nicht anders.“

Und Gerichtskosten sollte man seiner Meinung nach nicht wirtschaftlich betrachten: „Das gehört zum funktionierenden Rechtsstaat.“ Die Berliner SPD hat zwar kürzlich einen Antrag beschlossen, wonach Schwarzfahren entkriminalisiert werden solle. Kohlmeier hat aber eine andere Meinung: „Ich finde Projekte wie ’Schwitzen statt Sitzen’ sinnvoller, bei denen Geldstrafen durch gemeinnützige Arbeit abgeleistet werden können.“ Auch der CDU-Rechtspolitiker Andreas Gram sieht in diesem Fall keinen Handlungsbedarf. „Das Strafbefehlverfahren ist ja schon sehr schnell und effektiv und berücksichtigt auch die Rechte der Beschuldigten. Ich bin dagegen, Schwarzfahren oder Ähnliches nicht zu verfolgen.“

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