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Berlin: Qualvolle Kinderschreie aus dem Parterre

In Spandau wurde ein kleines Mädchen schwer misshandelt. Ein Besuch beim Nachbarn, der Anzeige erstattete

Die Wände in der Neubausiedlung im Walldürner Weg sind recht dünn. In einer Wohnung unten links kläfft in Intervallen ein Hund. Das Gebell hallt trotz geschlossener Türen durch das ganze Treppenhaus bis unter das Dach. Aus derselben Parterrewohnung, aus der sich der Hund meldet, hat auch die 17 Monate alte Marie in ihrer Qual geschrien – Tag und Nacht.

Vielleicht haben es die anderen Nachbarn in dem Achtfamilienhaus in Hakenfelde nicht gehört – vielleicht auch überhört. Wenigstens ein Mieter aber, er wohnt über der Parterrewohnung, hat das Kindergeschrei am Donnerstag nicht mehr ausgehalten. „Das war ein ganz eigenartiges Schreien, so durchdringend, wie ich es noch nie bei einem Kleinkind gehört habe“, schildert der arbeitslose Nachbar. Er rief die Polizei. Zum Glück für die kleine Marie. Als die Beamten – wie berichtet – in die Parterrewohnung kommen, finden sie das kleine Mädchen mit Gurten am Kinderbett gefesselt vor. Die Beine sind mit Elastikbinden zusammengebunden, der Körper ist mit Blutergüssen und Bisswunden übersät. Als die Beamten das Mädchen genauer anschauen, finden sie Narben, die von vorangegangenen Fesselungen stammen. Die Ärzte im Krankenhaus stellen fest, dass Marie unterernährt und für ihr Alter unterentwickelt ist. Einige Wochen wird sie noch im Krankenhaus bleiben müssen. Dann übernimmt das Jugendamt die Fürsorge.

Die Polizisten nehmen die Mutter, die 31-jährige Diana T., noch in der Wohnung fest. Sie gesteht die Misshandlungen an ihrer Tochter und erhält einen Haftbefehl. Der Vater des Kindes, Carsten K. (26), ist während der Festnahme nicht zu Hause. Im Polizeibericht heißt es, Diana T. habe ihren Lebensgefährten nicht belastet. Er bleibt auf freiem Fuß. „Der ist Alkoholiker“, sagt der Nachbar. „Vielleicht hat der gar nichts mitbekommen.“

Wie ein Vater von dem gellenden Schreien seiner misshandelten Tochter nichts mitbekommen kann, bleibt unvorstellbar. Und die Bisswunden? „Das muss der große schwarze Hund gewesen sein, den die haben“, sagt der Nachbar. „Aber eigentlich war der immer ganz lieb.“

Merkwürdig sei ihm und den anderen Mietern vorgekommen, dass Diana T. fast nie draußen war mit ihrer Tochter. „Als sie noch schwanger war, habe ich sie manchmal draußen gesehen mit dem Hund. Später kaum noch“, schildert er. Diana T. habe sich zurückgezogen in der Einzimmerwohnung und in einer Besenkammer, in der ein Computer stehe, „ständig Spiele gespielt“.

Justizsprecher Björn Retzlaff sagt, dass die Mutter sich anfangs noch ganz normal um ihr Kind gekümmert habe. Sie sei sogar regelmäßig zum Kinderarzt gegangen. Doch dann fingen die Misshandlungen an. Ungewöhnlich auch sonst ihr Verhalten: Der Nachbar erinnert sich, dass Diana T. vor einigen Monaten bei ihm geklingelt habe. Einen Haufen Lebensmittel in einem Korb habe sie ihm übergeben. „Einfach so, als Geschenk. Sie meinte, sie braucht die nicht, weil sie nichts mehr isst. Und ihr Freund trinkt ja sowieso nur“, sagt der Nachbar.

„Vielleicht hat sie ihre ganze Wut jetzt an ihrer Tochter abgelassen“, vermutet er. Früher sei es vorgekommen, dass sie ihren Freund geschlagen habe. „Der hatte bei ihr nichts zu melden“, weiß der Nachbar. Die anderen Mieter wollen nichts dergleichen beobachtet haben. Die Fragen nach dem misshandelten Kind sind ihnen unangenehm. „Wir wollen unsere Ruhe“, hört man durch den Spalt, bevor sich die Tür wieder schließt.

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