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Die Messe "Queeres Verlegen", hier ein Bild vom vergangenen Jahr.

© Queeres Verlegen

"Queeres Verlegen" in Berlin: Zensurvorwürfe gegen queerfeministische Buchmesse

Eine queere Buchmesse in Kreuzberg verbannt den viel diskutierten Band "Beißreflexe" von der Veranstaltung. Mehrere Verlage ziehen daraufhin ihre Teilnahme zurück: Zensur lasse man sich nicht bieten.

Zum "Lesen, Zuhören, Diskutieren und Netzwerken" lädt die Buchmesse "Queeres Verlegen" auf ihrer Webseite ein. Die Veranstaltung ist wohl die einzige in Deutschland, die sich dezidiert queerfeministischer Literatur widmet. Zum dritten Mal soll sie am 18. November in Kreuzberg stattfinden, mehrere queere Verlage sind dafür eingeladen. Doch jetzt muss sich die Messe mit Zensurvorwürfen auseinander setzen. Denn ausgerechnet auf das wohl meistdebattierte queere Buch dieses Jahres will sich die Messe nicht einlassen: Das Organisationsteam hat den Band "Beißreflexe" von der Veranstaltung verbannt.

Als Folge haben Verlage bereits aus Protest ihre Teilnahme abgesagt. "Zensur findet statt. Aber nicht mit uns", postete der Verlag Krug und Schadenberg Anfang dieser Woche auf seiner Facebookseite, als er als dritter Verlag einen Boykott bekannt gab.

"Beißreflexe" behandelt - ausgerechnet - Sprechverbote in der queeren Szene

Ins Rollen kam die Geschichte bereits Ende August. Damals teilten die Messe-Verantwortlichen dem Querverlag, in dem "Beißreflexe" erschienen ist, per Mail mit, das Buch sei auf der Veranstaltung nicht erwünscht. "Beißreflexe" befasst sich - ausgerechnet - mit vermeintlichen Sprechverboten in der queeren Szene. Die Herausgeberin Patsy l'Amour laLove kritisiert darin "eine Politik der Verbote und Bußen" und eine "autoritäre Variante von Queer". In dem Band gibt es zahlreiche Aufsätze zu dem Thema.

Für die Messe-Organisator*innen handelt es sich bei den Beißreflexe-Autor*innen indes um "eine Reihe politisch enttäuschter Leute", die "dominante Diskurse speisen", wie aus der Mail an den Querverlag hervorgeht. Die Messe-Verantwortlichen würden das Buch "einhellig in mehrfachem Widerspruch zu dem verorten, wofür wir [...] diese alternative, dezidiert queerfeministische Buchmesse organisieren". Man wolle den Beißreflexen daher nicht noch weiteren Raum geben. "Dieses Buch, das schon so große Aufmerksamkeit erfährt und unsere queer-politischen, feministischen, antirassistischen und linken Kämpfe abwertet, möchten wir nicht auf der Messe haben", schließt die Mail.

"Das erinnert an stalinistischen Dogmatismus"

Öffentlich wurde der Ausschluss von "Beißreflexe" Ende Oktober: Da verkündete der Querverlag als Reaktion den Boykott der Messe. Der Querverlag ist der größte lesbisch-schwule Verlag in Deutschland, in dem auch das Tagesspiegel-Kolumnenbuch "Heteros fragen, Homos antworten" erscheint. Verlagsgründerin Ilona Bubeck begründete den Boykott in einem Beitrag für die "Siegessäule": Sie erinnere der Vorgang an "ein 'auf Linie bringen', an stalinistischen Dogmatismus, der Politikfähigkeit und Bündnisse verhindert anstatt ermöglicht".

Der Zwang zum Konsens aber sei "das Ende des eigenständigen Denkens und der eigenen Kritikfähigkeit". Seit 1979 arbeite sie erst mit feministischer, später schwul-lesbischer und queerfeministischer Literatur. "In diesen 38 Jahren wurde ich noch nie zensiert. Und auch heute lasse ich das nicht zu." Wer unbequeme Personen verdränge und wer kritisch hinterfragende Bücher verbiete, sei für sie als lesbische Feministin keine Verbündete.

Dem Rückzug des Querverlages schloss sich umgehend der Männerschwarm-Verlag und an diesem Montag auch der Verlag Krug und Schadenbach an. "Inhaltliche Auseinandersetzung durch Anwendung von Machtmitteln zu ersetzen erinnert ans finstere Mittelalter und darf nicht toleriert werden", schrieb der Männerschwarm-Verlag auf Facebook. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die die Messe laut "Queer.de" gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Hannchen-Mehrzweck-Stiftung finanziell fördert, forderte das Organisationsteam auf, seine Entscheidung zu überdenken und den Ausschluss von "Beißreflexe" zurückzunehmen. Jörg Litwinschuh, Vorstand der Hirschfeld-Stiftung, hält das Buchverbot für einen "Tabubruch".

Das Messeteam hält am Verbot fest

Öffentlich hatten sich die Messe-Verantwortlichen zu den Vorwürfen bislang nicht geäußert. Auf Anfrage des Tagesspiegels sagten zwei Vertreterinnen aus dem Organisationsteam nun, sie würden an dem Ausschluss von "Beißreflexe" festhalten. Natürlich sei der Ausschluss ein "Affront", geben sie zu: "Uns ist klar, dass unsere Entscheidung kontrovers aufgenommen wird und wir hätten gern auf diesen Schritt verzichten können – stehen aber dazu." Man sei einhellig der Meinung, der Band "versiegele Diskussionsräume". Ihnen gehe es auch um das Spektakel und die mediale Aufmerksamkeit, die das Buch auf sich ziehe und somit von anderen Werken ablenke.

Und was ist mit dem Vorwurf der Zensur? Den halten die beiden Messe-Organisatorinnen für "absurd". Dafür stimme in ihren Augen das Kräfteverhältnis nicht: "Der Querverlag ist etabliert und das Buch in der vierten Auflage. Unsere Veranstaltung ist vergleichsweise klein.“ Ähnlich wie ein Verlag könne auch "Queeres Verlegen" entscheiden, wem sie eine Stimme gebe und wem nicht. Die Messe sei eine "kuratierte" Veranstaltung: "Als Organisationsteam laden wir ein, gestalten wir ein Programm und treffen eine Auswahl."

Die Böll-Stiftung respektiert die Entscheidung

Anders als von der Hirschfeld-Stiftung kommen von der Böll-Stiftung keine Proteste. Die Böll-Stiftung respektiere die Entscheidung, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage. Auch die Böll-Stiftung sehe die Messe "als eine kuratierte Veranstaltung." Es sei nachvollziehbar, vor allem den sonst wenig gehörten leisen Stimmen Raum geben zu wollen. Der Böll-Stiftung sei es wichtig, dass gerade Stimmen aus dem globalen Süden zu Wort kommen.

Die Hirschfeld-Stiftung will jetzt alle Beteiligten zu einem Gespräch zusammenbringen - zustande kommen soll das allerdings erst nach der Messe.

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. 

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