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Wegweiser am Streckenrand der Tour Sorbische Impressionen

© Hella Kaiser

Radreise: Dobry zen und gute Fahrt!

Der Radweg „Sorbische Impressionen“ im Südosten Brandenburgs führt zu Freilichtmuseen, Trachten-Stickerinnen und Karpfenteichen

Anderthalb Stunden braucht der Zug von Berlin aus in die Stadt mit den Apostrophen im Namen. Wie spricht man das überhaupt aus? Chósebuz. Ein Glück, dass auf dem Schild am Bahnhof auch noch Cottbus steht. Chósebuz heißt die Stadt auf Sorbisch. Was es mit den Sorben so auf sich hat, wollen wir per Rad ergründen. Ein hübsch gemaltes Lindenblatt in Blau-Weiß-Rot (die Farben der sorbischen Flagge) soll uns den Weg weisen, genauer gesagt: den Radwanderweg „Sorbische Impressionen“.

Witany was do Dešnasna – Herzlich Willkommen in Dissen

Gut 90 Kilometer misst unsere Rundtour. Wir nehmen uns zwei Tage Zeit, um auf ihr zu ungewöhnlichen Menschen und Orten zu gelangen. Kaum haben wir Cottbus hinter uns gelassen, tauchen wir in eine sanfte, ruhige Landschaft. Gemächlich rollen wir an der Spree entlang, an Feldern und Wiesen. Auf einem Schild stehen die Worte „Witany was do Dešna“: Herzlich willkommen in Dissen. Der schmucke Ort wirbt für sich mit dem Titel „Storchendorf“. Acht bis zehn Nester sind in der Saison besetzt. Vor allem aber ist Dissen fest in sorbischer Hand. Und das interessiert uns auf dieser Reise besonders. Die Sorben sind eine der vier anerkannten Minderheiten in Deutschland. Sie gehörten zu den slawischen Volksstämmen, die im 6. Jahrhundert aus Osteuropa einwanderten und zwischen Ostsee und Erzgebirge siedelten. Heute gehören dem Völkchen noch etwa 60 000 Menschen an, ein Drittel davon leben in Brandenburg, zwei Drittel in Sachsen.

„Dobry zen“, begrüßt mich Museumspädagoge Peter-Kornelius Kusch – „Guten Tag“. Sein Reich ist das Freilichtmuseum Dissen, wo Besucher sich in die Zeit des Stary Lud, des alten Volkes, hineinversetzen können. Fünf typische Grubenhäuser, die jeweils zu einem Viertel in der Erde vergraben sind, stehen auf dem Areal. Wie damals wird hier auch heute noch getöpfert, gewebt und geschmiedet. „Manchmal übernachte ich auch hier“, erzählt Kusch. Mit seinen zum Zopf gebundenen Haaren und dem grob gewebten Leinenhemd könnte er glatt als mittelalterlicher Sorbe durchgehen. „Ich bin Wende“, sagt er selbstbewusst. Was ist denn der Unterschied zwischen Sorben und Wenden? „Wie zwischen Spatz und Sperling“, sagt Kusch, um es für die unwissende Berlinerin „nicht zu kompliziert“ zu machen. Und geht dann doch ins Detail: Sorben lebten eher in der sächsischen Oberlausitz, rund um Bautzen, Wenden in der Niederlausitz. „Die Sprache der Sorben ist ans Tschechische angelehnt, während das wendische Idiom eher an Polnisch erinnert“, sagt Kusch. Das Wort Berg etwa, heißt bei den Sorben Hora, bei den Wenden aber Gora.

Jeder Ort in der Niederlausitz hat seine eigene Tracht

Das liebevoll eingerichtete Heimatmuseum, das in einem ehemaligen Schulgebäude untergebracht ist, erzählt von der Kultur der Wenden. Allein zwanzig verschiedene Trachten sind hier ausgestellt. Manchmal sieht man sie an Festtagen auch heute noch. „Die Menschen hier legen Wert auf Tradition“, sagt Kusch. Jeder Ort in der Niederlausitz habe seine eigene Tracht. „Früher konnte man an der Haube erkennen, woher jemand kam.“ Die prächtigen Hauben mit den breit bestickten Bändern sind typisch für die Gegend. „Spreewaldtrachten“ heißt es in der Werbung für die Region. Ein Wort, das der Experte gar nicht mag. „Den Begriff haben die Nazis erfunden“, sagt Kusch. Nichts sollte an die Existenz eines slawischen Volksstammes mitten in Deutschland erinnern. Der Spruch der Dichterin Mina Witkocj an einer Wand im Museum passt in diese Zeit: „Wir Sorben sind, ach, eine Insel im Meer, durch göttliches Wunder leben wir hier noch.“ Wir treffen einen anderen Dichter, der sich mit seinem Künstlernamen vorstellt: Pittkunings.

Auf seiner Visitenkarte steht „sorbischer Liederpoet“, und mit seiner schwarzen Baskenmütze wirkt er schon auf den ersten Blick wie ein Barde. Er führt uns durch das Dissener Gotteshaus, das voll von sorbischer Geschichte steckt. Die Emporen sind mit deutschen und sorbischen Bibelsprüchen geschmückt, die Pfarrer Bogumil Swjela bei der Renovierung der Kirche 1938 aufmalen ließ. In das Fenster im Westportal ließ er gar einen Davidstern setzen. Dass die Nazis dieses Symbol nicht bemerkten, grenzt an ein Wunder. Im Mai 1941 verboten sie Gottesdienste in sorbischer Sprache. Ein Jahr später wurde Swjela aus der Lausitz verbannt. Während die Geschichte der Sorben zur DDR-Zeit im Heimatmuseum nicht weiter ausgeführt ist, kann sich Pittkunings noch gut an die damalige Schaukelpolitik erinnern. 1952 hätte die Parole noch geheißen: „Die Lausitz muss zweisprachig sein.“ Zehn Jahre später propagierte man nur noch: „Die Lausitz wird sozialistisch.“ Das Sorbisch-Wendische war nicht verboten, „wurde aber reduziert auf Eierbemalung, Tanzen und Trachten“, sagt der Zeitzeuge.

Die Dissener lieben ihr ruhiges Fleckchen Erde. „Man sieht Gänse, Grünspechte, Fledermäuse, und oft kreist über uns ein Milan“, sagt Kusch zufrieden. Dann geht es weiter zum Tagesziel in Burg. Am Ortsausgang von Dissen steht wieder ein großes Schild: „Psedejs“. Wie bitte? Ein Einheimischer erklärt lächelnd: „Psedejs heißt Vorort.“ An einem Lichtmast ist ein Wahlplakat der Partei Die Linke hängen geblieben. Darauf steht: „Rec ja psichod“. Und darunter auf Deutsch: „Sprache ist Zukunft“. Ein gutes Motto. In Briesen steht links eine alte Backsteinkirche an der Straße, rechts ein leuchtend gelbes Schild mit der Aufschrift „Ballhaus“. Befestigt ist es an einem schneeweißen klassizistischen Gebäude, in dem wohl schon lange nicht mehr getanzt, sondern nur noch gewohnt wird. Die Reifen rollen weiter wie von selbst, alles ist hier ganz flach.

Burg in Sicht! Schnell noch ins nächste Heimatmuseum

Später bereuen wir, die Kirche nicht besucht zu haben. Denn so sind uns die „Briesener Fresken“ entgangen, ein Schatz spätgotischer Malereien, die 1952 freigelegt wurden. Dafür fallen uns aber Tore auf, die auf Wiesen neben der Straße stehen. Die Einheimischen brauchen sie für den Kokot, das derbe Hahnrupfen, ein sorbisches Erntedankfest, das im August und September gefeiert wird. Dann baumelt ein toter Hahn an einem mit Eichenlaub geschmückten Tor. Junge Männer reiten durch das Tor und müssen dem Tier den Kopf abreißen. Wer ihn ergattert, wird Erntekönig und darf sich seine Erntekönigin aussuchen. Ein bisschen gruselig ist das alles schon. Burg in Sicht! Schnell noch ins nächste Heimatmuseum schlüpfen, bevor es um 17 Uhr schließt. Wie lebten die Wenden einst im Spreewald? Hier kann man viel darüber erfahren. Wie die Mädchen den Flachs sponnen, wie die Männer über die Fließe stakten, aber auch, wie sich junge Mütter als Ammen in Berlin verdingen mussten. In einer Vitrine liegen auch Ostereier, verziert mit der typischen Wachstechnik.

Am nächsten Morgen, zum zweiten Tag unserer Tour, brechen wir früh auf. Noch sind nirgendwo Tagestouristen in Sicht, die Boote im Hafen von Burg liegen verwaist da. Zum Glück hat Christa Dziembla ihre Trachtenstickerei schon aufgesperrt. Dutzende Puppen in gestärkten Blusen, langen Röcken und prächtigen Hauben stehen in ihrem Laden auf den Regalen. Die Muster der Trachten sind allesamt handbestickt. Eine der Puppen ist fast ganz in Schwarz gehüllt. „Das ist unsere Trauertracht“, sagt die 71-jährige Handwerkerin. Sie wurde in Burg geboren. „Die wendische Sprache, die die Alten damals noch verwandten, haben wir als Kinder gut verstanden. Aber altmodisch fanden wir das schon“, erinnert sich die gelernte Schneiderin. Heute gefällt ihr, dass sich immer mehr Spreewaldbesucher für die Kultur der Sorben interessieren. Und dass die Einheimischen ihre Traditionen pflegen. Zwei bis drei Festtagstrachten werden bei Christa Dziembla pro Jahr bestellt. Weiter geht’s. Am Rand des weitverzweigten Kurortes Burg passieren wir einen trutzigen Bismarckturm und radeln weiter auf einem Deich an der Spree. Was für eine verträumte, stille Landschaft. Weit schweift der Blick über das Grün, am Himmel formieren sich Gänse. Bald lockt ein Abstecher zum „Aueroxenreservat“, wo die in freier Wildbahn längst ausgestorbenen Rinder mit ihren archaisch gewundenen Hörnern auf sumpfigen Wiesen grasen.

Wir haben am Vortag viel über die Wenden und Sorben gelernt, aber unsere Neugier ist noch nicht gestillt. Als wir Peitz erreichen, erkundigen wir uns in der Touristeninformation sofort nach Anzeichen sorbischer Kultur. „Auf der Kirchenglocke ist ein sorbischer Spruch eingraviert“, sagt ein Mitarbeiter. Immerhin. An einer Wand in der Mauerstraße haben wir einen sorbischen Spruch gelesen. Was bedeutet er? Der Mann weiß es nicht, aber er hat einen Tipp für unsere Routenplanung. Er rät uns davon ab, dem Radweg „Sorbische Impressionen“, der von hier noch rund zehn Kilometer bis nach Jänschwalde führt, weiter zu folgen. „Nehmen Sie lieber die Route durchs Teichland.“ Der Hinweis ist Gold wert! Denn sonst hätten wir die Fahrt durch das größte Teichgebiet Deutschlands verpasst, in dem seit dem 16. Jahrhundert Karpfen gezüchtet werden. 33 Teiche liegen hier aneinandergereiht. Wir radeln auf schmalen Dammwegen über dem Wasser. Und bestellen bald darauf im Ausflugsrestaurant Maustmühle das passende Gericht: Teichländer Karpfen mit Salzkartoffeln und Gulaschgemüse. Als wir am Ende der Tour die W. Brandtowa droga (die Willy-Brandt-Straße!) in Chósebuz entlangradeln, kommt uns alles Sorbische bereits vertraut vor.

Der Text stammt aus dem neuen Magazin "Tagesspiegel Radfahren 2018/19". Es kostet 9,80 Euro und ist erhältlich am Kiosk und im Tagesspiegel-Shop. Die Tour von Hella Kaiser mit genauer Wegbeschreibung und detaillierter Karte finden Sie hier zum Download.

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