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„The Barn“-Chef Ralf Rüller vor seinem Café.

© Mike Wolff

Ralf Rüller: Besuch bei Berlins Kaffeesommelier

Der Streit ging um die Welt: Ein Ex-Banker und Cafébetreiber, der sich mit einer stillenden Frau anlegt. „Barn“-Chef Rüller über Mutters Rezepte und alten Zoff.

Dass eine stillende Frau ihn einmal weltbekannt machen würde, hätte Ralf Rüller nie geahnt, als er 2010 sein erstes Café in der Auguststraße eröffnete. Ein paar Jahre später, es war 2016, saß in einer anderen Filiale eine Mutter, die ihre Wickeldecke im Fenster ausbreitete und ihr Kind stillte. „Ist doch okay hier?“, fragte sie beiläufig, als er gerade das Geschirr abräumte. Sein „Nein“ löste einen Skandal aus, der ihm Medienpräsenz bis nach Hongkong, Melbourne und New York einbrachte.

Aber von vorn. Aus verschiedenen Gründen nannte Ralf Rüller sein Café bei der Eröffnung „The Barn“, übersetzt „die Scheune“. Zum einen dachte er damals noch, dass sich der Ort im alten Scheunenviertel befände, was sich als Irrtum herausstellte. Außerdem wollte er einen Namen, der das Bäuerliche enthält, das die Zutaten ausmacht, die er verwendet: Kaffeebohnen von kleinen Farmern aus Afrika oder Süd- und Mittelamerika, dazu Biomilch aus dem Umland. Und er wollte einen gemütlichen Ort schaffen, an dem man sich austauschen kann. „Das ist ja gerade in Zeiten des Internets immer wichtiger geworden.“

Vom Café geht es erst mal Richtung Clärchens Ballhaus. Auf dem Kopf trägt Ralf Rüller ein Basecap mit selbstentworfenem Logo. Es zeigt die Skizze einer Scheune, die ein bisschen aussieht wie eine Kaffeetasse mit spitzem Dach drauf. Im Ballhaus tanzt der Café-Gründer einmal in der Woche Tango. „Als Teenager war ich Turniertänzer“, erzählt der 51-Jährige, der auch das alte Café Kranzler wiederbelebt hat und privat in der Torstraße wohnt. Er war sogar einmal Jugendmeister, sagt er, es muss 1985 gewesen sein.

Nach dem Abschluss absolvierte er eine Banklehre

Aufgewachsen ist Ralf Rüller in Rheinberg, einem kleinen Ort am Niederrhein, aus dem der Kräuterschnaps Underberg kommt. Seine Mutter, eine gebürtige Berlinerin, ist unmittelbar nach dem Krieg mit der Kinderlandverschickung „Storchennest“ dort gelandet – und geblieben.

Rüller ist das vierte von fünf Kindern. Mit seiner Mutter verbindet er vor allem Gastfreundschaft. Ständig hat sie Kuchen gebacken, die Kinder haben geholfen. Besonders gern hat Rüller die Schüsseln ausgeleckt. Trotzdem wollte er unbedingt weg aus der Kleinstadt.

Nach dem Realschulabschluss absolvierte er eine Banklehre, ging später nach Frankfurt, Singapur und Japan. Jahrelang war er bei der Deutschen Bank für mittelständische Unternehmen zuständig, arbeitete aber auch als Fondsmanager und schließlich als Vorstandsassistent in London.

Während Ralf Rüller durch die Heckmannhöfe schlendert, die er besonders liebt, deutet er auf die alte Remise, in der ein Restaurant untergebracht ist: „Das wäre auch so ein Traumort für ein Café. Ein alter Pferdestall.“ In seiner Zeit als Banker hat er so viele Unternehmen pleite gehen sehen, dass er später manchen Fehler vermeiden konnte. Er wusste, dass man in guten Zeiten Geld zurücklegen muss und sich nicht überschätzen darf.

Berlin war ihm aus Londoner Sicht zu wenig dynamisch

Nahe der Synagoge, im Kunsthof, stoppt er. Seine erste Berliner Station. Nachdem er 2003 seinen Bankjob verloren hatte, beschloss er, etwas ganz Neues zu machen. Er lebte noch in London und nahm dort Schauspielunterricht.

„Das war eine Art Selbstfindung, ich wollte mich öffnen für ein anderes Leben.“ Doch der Durchbruch als Schauspieler blieb aus. Ein paar kleine Rollen in Dokumentarfilmen, die Werbefilme will Ralf Rüller gar nicht gelten lassen. „Damit hält man sich doch nur über Wasser.“ In den folgenden Jahren zog es ihn immer öfter nach Berlin. Ein alter Freund vom Niederrhein, Jens Komossa, hatte im Kunsthof sein Fotoatelier. Dort verbrachte er damals viel Zeit.

Im heißen Fußballsommer 2006 lernte Ralf Rüller seinen Lebensgefährten Andreas kennen. Eine Weile pendelte er alle sechs Wochen hin und her, dann zog er ganz nach Berlin. Nicht ohne Ängste: Berlin war ihm aus Londoner Sicht zu wenig dynamisch, er befürchtete einen Energieverlust. Mit Andreas, der in Rudow aufgewachsen ist, hatte er viele Gemeinsamkeiten. Er erzählt von ihrer Leidenschaft fürs Tanzen, während er zur Bodebrücke am Monbijoupark spaziert. Im Sommer tanzen sie hier am Ufer der Spree gern zusammen in die Nacht hinein.

Andreas besaß damals in der Dorotheenstraße einen Laden, Splendid Delikatessen. „Er stellte mich ein, ich habe in der Küche gearbeitet.“ In jener Zeit lernte Ralf Rüller alles über Warenkunde und Personalmanagement. Jeden Morgen hat er Kuchen gebacken nach den Rezepten seiner Mutter und Stullen geschmiert. Doch auch in der Buchhaltung half er.

Für eine kurze, aber lehrreiche Zeit haben die beiden zudem das Splendid Kaffeehaus im Kulturkaufhaus Dussmann betrieben. Irgendwann war klar: Es tut der Beziehung nicht gut, so eng zusammenzuarbeiten. Ein Brainstorming in der Uckermark half bei der Suche nach der wahren Leidenschaft: Kaffee!

Wie ein Sommelier beschreibt er die Kaffeesorten

Splendid Delikatessen gibt es immer noch. Das Lokal liegt in einer Gegend mit vielen Büros, alles gute Kunden. Ralf Rüller erkennt die Angestellten schon von Weitem und beschreibt, wie der Laden früher aussah, als hier noch Käse, Obst und Wein angeboten wurden. „Inzwischen konzentrieren wir uns auf das Mittagsgeschäft“, sagt er. Eine Reihe großer weißer Emaille-Schüsseln mit blauen Rändern, gefüllt mit diversen hausgemachten Salaten, wartet auf die Mittagskundschaft.

Hört man Ralf Rüller heute reden, klingt es, als habe er nie für etwas anderes als Kaffee geschwärmt. Wie ein Sommelier beschreibt er die Sorten. Auf den Geschmack ist er schon in London gekommen, wo er einen bestimmten Kaffee im Bio-Supermarkt entdeckt hatte. Rasch wurde er Anhänger der sogenannten Third Wave, der dritten Welle, die anspruchsvollen Kaffeegenuss nach der Coffeeketten-Ära beschreibt. Eine Art Slow-Food-Bewegung für Kaffee-Liebhaber sei entstanden, für die die enge Zusammenarbeit mit Farmern typisch sei.

Zuerst hat Ralf Rüller „The Barn“ um 11 Uhr geöffnet, von 7 Uhr an stand er morgens in der Küche und hat nach den Rezepten der Mutter gebacken, meistens Käse- und Möhrenkuchen. Allerdings klopften die Leute schon um 8 Uhr an die Tür, vor allem waren es Mütter, die ihre Kinder in die benachbarte Schule brachten. Bald machte er früher auf. Inzwischen hat er 65 Angestellte und ein eigenes Trainingszentrum für Baristas in der Saarbrücker Straße, wo sie beispielsweise Sensorik trainieren können.

In seinen Läden soll es ruhig sein

Am Potsdamer Platz endet der Spaziergang im alten Weinhaus Huth, wo er kürzlich sein fünftes Café eröffnet hat. Seine Kaffeeröstungen liefert er von seiner Rösterei in der Schönhauser Allee aus inzwischen in 80 Länder der Welt. Vor zwei Jahren hat er seinen Partner Andreas eingestellt, der für die Cafés und alles Essbare dort zuständig ist.

Bei äthiopischem Kaffee, neuseeländischen Militärkeksen und einer würzigen Mischung aus Kaffee und Tee, die er zuerst in Shanghai entdeckt hat, spricht er dann noch einmal über die Geschichte, die seinem Unternehmen einen kräftigen Bekanntheitsgrad verschafft hat. Die Causa wurde heftig diskutiert, er sei aber auch auf viel Verständnis gestoßen.

In seinen Läden soll es ruhig sein, sagt er, besonders in der Schönhauser Allee sieht er die große Röstmaschine als Gefahrenquelle, weshalb Eltern ihre Kinder stets nah bei sich haben müssen und Kinderwagen wegen der Brandgefahr draußen bleiben sollen. Auch für seine Freundinnen gab es damals keine Ausnahmen.

Anfangs hat er auch mal Laptops verboten, weil er ja einen Ort des Austauschs schaffen wollte. Aber das ließ sich nicht durchsetzen. Ein paar Regeln müsse es aber schon geben, sagt er. Dem Erfolg seines Unternehmens haben sie bislang nicht geschadet.

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