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Berlin: Real, aber unfassbar

Einen Tag nach der Tat können die Menschen in der Siedlung nicht begreifen, was passiert ist

Die Kirchenglocken läuten zum Sonntag. Nach der schrecklichen Tat vom Sonnabend empfinden es viele, als läuteten sie in Gedenken an den ermordeten Christian Sch. So jedenfalls geht es einer Anwohnerin im Lupsteiner Weg durch den Kopf, wie sie sagt. „Angst“ ist das einzige Wort, was eine andere Nachbarin über ihre momentanen Gefühle sagen kann. Sie ist Mutter zweier sieben und elf Jahre alter Mädchen und sitzt mit ihnen auf dem Spielplatz. Alleine dürfen sie erst einmal nicht mehr nach draußen, sagt sie. „Wenn man so was hört, denkt man sofort, es hätte auch mein Kind sein können.“

Über dem Spielplatz kreist ein Hubschrauber. Zeitgleich ertönt ein Polizeilautsprecher: „Wer kann Hinweise zum Mord an Christian Sch. geben?“ Szenen, wie sie die Menschen hier nur aus Fernsehkrimis kennen. Und doch ist alles real. Christian ist tot. Erschlagen. Am helllichten Tag. So viel ist nun auch zu den Anwohnern der Zehlendorfer Mehrfamilienhaus-Siedlung durchgedrungen: Gegen 10.30 Uhr hat der Junge die Wohnung unweit vom Lupsteiner Weg verlassen. Christian wollte spielen gehen. Er trägt ein rotes Muskelshirt mit einer „53“ auf der Brust, eine knielange rote Hose und ist barfuß. „Er war öfter ohne Schuhe“, sagen einige Kinder später. Als er gegen 12 Uhr nicht wieder zu Hause ist, macht sich der Vater Sorgen. Die Familie hatte einen Ausflug geplant. Der Vater macht sich auf die Suche nach seinem Sohn. 40 Minuten später soll ihn eines der Kinder zu einem Gebüsch der Grünanlage geführt haben. Dort findet er die Leiche seines Sohnes nackt unter einer Plane. Der Vater, der als Rettungssanitäter bei der Feuerwehr arbeitet und bei vielen in der Nachbarschaft bekannt ist, erleidet einen Nervenzusammenbruch, dann wird die Familie von Angehörigen außerhalb der Wohnung betreut.

Auch am Sonntag kommen in der Wohnsiedlung Nachbarn mit und ohne Kinder, alte und junge Menschen in Gruppen zusammen. Einige haben Blumen am Fundort abgelegt. Sie können das, was passiert ist, nicht begreifen. Kaum einer habe die vergangene Nacht schlafen können. „Keiner lässt mehr seine Kinder alleine raus“, erzählt eine Mutter. „Dabei ist das hier Zehlendorf. Eine ruhige Gegend zum Spielen und Spazierengehen“, sagt Justyna Schmidt, Mutter eines zweijährigen Sohnes. Und doch, diese scheinbare Idylle ist keine problemfreie Zone. Eine ehemalige Erzieherin, die schon seit Jahrzehnten hier lebt, sagt, dass in dieser 60er-Jahre-Wohnhaussiedlung auch viele sozial schwache Familien leben. „Wir haben Probleme mit einigen Jugendlichen, die hier Ärger machen“, sagt sie. Das kann der Kneipenwirt vom „Pils Stübchen“ bestätigen. „Die demolieren Telefonzellen und kiffen“, sagt er. Aber ob wirklich einer der Jugendlichen als Täter in Frage kommt? Das können die Anwohner dann doch nicht glauben. Die Kripo sagt, sie ermittelt in alle Richtungen. Sie schließt nichts aus. Deshalb könne jeder Hinweis hilfreich sein. Jeder.

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