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Der bekannte Rechtsmediziner Michael Tsokos tritt im Kannibalismus-Prozess als Gutachter auf.

© Jens Kalaene/dpa

„Massiver Blutverlust“: Rechtsmediziner sagt erneut in Berliner Kannibalismus-Prozess aus

Charité-Professor Tsokos widerspricht als Experte in Kannibalismus-Prozess dem Angeklagten. Die Verteidigung hatte zuvor „Zweifel an der Sachkunde“ geäußert.

Mit Fachliteratur unter dem Arm betrat Rechtsmediziner Michael Tsokos den Saal. Der Professor von der Berliner Charité war zum dritten Mal als Experte im Prozess wegen Mordes mit Kannibalismus-Verdacht gegen Lehrer Stefan R. geladen. Die Verteidigerinnen hatten „Zweifel an der Sachkunde“ geäußert. Der Rechtsmediziner ging am Donnerstag vor dem Landgericht Punkt für Punkt auf die Vorwürfe ein, hielt dagegen – und blieb bei seinen Ergebnissen.

Stefan R. soll einen 43-jährigen Monteur aus Lichtenberg in der Nacht zum 6. September vorigen Jahres über eine Dating-Plattform kennengelernt und sich mit ihm zum Sex verabredet haben. In seiner Wohnung in Pankow soll R. den Mann getötet und die Leiche zerteilt haben.

Die Anklage geht von einem Sexualmord mit Kannibalismus-Motivation aus. Der 42-Jährige habe den Monteur getötet, um durch die Tat sexuelle Befriedigung zu erlangen und Teile der Leiche zu essen, so die Staatsanwaltschaft.

Ermittler sagten in dem seit vier Monaten laufenden Prozess, sie hätten in der Wohnung des Angeklagten auch Zettel mit zwei Anleitungen gefunden: Eine zur Herstellung von sogenannten K.o.-Tropfen, die andere zur „Entmannung und Schlachtung eines Menschen“.

Angeklagter: „Ich kam zu dem Schluss, dass die Leiche weg muss“

Zudem soll in einem bizarren Chat, den R. mit einem anderen Mann geführt haben soll, ein „Kehlschnitt“ erwähnt worden sein. „Wahrscheinliche Todesursache war ein massiver Blutverlust“, hatte Tsokos vor einem Monat im Prozess erklärt. Der 43-Jährige müsse „ausgeblutet sein aus einem großen Gefäß“. Damit widersprach er dem Angeklagten.

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Stefan R., der nach wochenlangem Prozess sein Schweigen gebrochen hatte, wies den Vorwurf der Tötung zurück. Für das tragische Schicksal sei er nicht verantwortlich, sein Sexpartner habe am Morgen leblos auf der Couch im Wohnzimmer gelegen. Er habe bei dem Mann keinen Puls mehr feststellen können. „Mir war aber klar, dass herauskommen würde, dass ich homosexuell bin“, so R. in seiner Erklärung, die eine Anwältin verlas.

Er habe das unbedingt verhindern wollen, er stamme aus einer streng katholischen Familie. „Ich kam zu dem Schluss, dass die Leiche weg muss.“ Seit über einem Jahr sitzt R. in Untersuchungshaft.

Tsokos überraschte mit dem Fazit, dass der Körper ausgeblutet sei

Die Rechtsmediziner hatten zunächst im Sektionsprotokoll festgehalten, dass keine Todesursache festgestellt werden konnte. Tsokos überraschte dann die Verteidigung mit seinem Fazit, dass der Mann ausgeblutet sei. Nun erklärte der Experte, dass zunächst nur der Torso gefunden worden sei. Auf diese Sektion habe sich das zitierte Protokoll bezogen. „Zu dem Zeitpunkt fehlten der Schädel und ein Bein“, so der Rechtsmediziner.

Schließlich wurden auch diese Leichenteile gefunden und untersucht: Keine Zeichen von äußerer Gewalt am Kopf. Es sei aber eine auffallende Blutarmut festgestellt worden. Zu Lebzeiten sei der Mann ausgeblutet, so Tsokos. Er wiederholte auch, dass der 43-Jährige unter Einfluss von Substanzen gestanden habe, darunter GHB – als „K.o.-Tropfen“ bekannt.

Der Prozess könnte nun in seine Schlussphase gehen: Der Richter forderte die Prozessbeteiligten auf, sich auf den Beginn von Plädoyers am 15. Dezember vorzubereiten. Ob sie tatsächlich starten können, hängt von einem Antrag der Verteidigung ab, über den das Gericht noch entscheiden muss.

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