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Regieren oder nicht?: Die Berliner Linke entscheidet über ihren Kurs – und die Spitzenposten
Bei der Bundestagswahl wurde die Linke in Berlin stärkste Kraft. Der Erfolg weckt Begehrlichkeiten und zwingt die Partei zu Entscheidungen. Am Wochenende trifft sie sich zu einem Parteitag.
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Der Anspruch ist klar: „Bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 werden wir die stärkste Kraft.“ So steht es im Leitantrag, den der scheidende Landesvorstand für den Parteitag am Wochenende formuliert hat. Der Landesverband will an den Höhenflug anknüpfen, der die Linke bei der vergangenen Bundestagswahl in Berlin zur stärksten Kraft machte.
Doch wird sich aus dem ersehnten Erfolg auch der Wille ableiten, Regierungsverantwortung zu übernehmen? Die Linksjugend zumindest steht dem skeptisch gegenüber. In einem Antrag fordert sie, Für und Wider einer Regierungsbeteiligung auszuloten.
„Welche Vorteile für das Erreichen des Sozialismus bietet eine Regierungsbeteiligung oder opfert Die Linke damit das langfristige Ziel für kurzfristige Erfolge?“, fragt sie in einem Antrag, der vom Landesvorstand abgeschwächt wurde. Ein weiterer Antrag knüpft eine mögliche Regierungsbeteiligung der Linke an die Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung großer Immobilienkonzerne.
Welche Vorteile für das Erreichen des Sozialismus bietet eine Regierungsbeteiligung?
Aus einem Antrag der Linksjugend
Die Berliner Linke, lange für ihren pragmatischen Kurs bekannt und jahrelang Teil rot-rot-grüner Koalitionen, hat sich zuletzt rasant gewandelt. Prominente Pragmatiker wie Ex-Kultursenator Klaus Lederer verließen die Partei im Streit um die Abgrenzung der Linke vom Antisemitismus. Regierungs- und Verwaltungserfahrung auf Landes- und Bezirksebene ging verloren.
Beinahe zeitgleich verzeichnete die Linke in Berlin einen erstaunlichen Zulauf und verdoppelte ihre Mitgliederzahl auf aktuell rund 15.000 Menschen. Wo die Neuen inhaltlich stehen, ist oft noch unklar. Mit dem Mitgliederzuwachs gehen daher auch „strukturelle Fragen“ einher, wie auch Parteichef Max Schirmer einräumt und im Leitantrag vorsorglich zur Einigkeit mahnt. Nur durch „ein solidarisches und einheitliches Auftreten“ gewinne die Linke an Stärke, heißt es da.
Neuaufstellung der zweiten Reihe
Ob der Appell Gehör findet, wird der Parteitag am Wochenende zeigen. Vor allem die erneute Kandidatur Schirmers, der aktuell Landesvorsitzender, Vorsitzender der Linksfraktion in Pankow und Vize-Chef der Bundespartei ist, trifft nicht nur auf Gegenliebe. Ihm fehle der Rückhalt, auch weil er in den vergangenen zwei Jahren Fehler gemacht habe, heißt es hinter vorgehaltener Hand. An seiner Wahl an der Seite der durchweg gelobten Co-Kandidatin Kerstin Wolter zweifelt dennoch niemand ernsthaft – zumal Gerüchte über mögliche Gegenkandidaturen schnell verebbten.
In der Riege der vier Vize-Vorsitzenden versucht sich die Linke dagegen an einer kompletten Neuaufstellung. Weder die frisch in den Bundestag eingezogene Katalin Gennburg, noch der interimsmäßige Landesgeschäftsführer Björn Tielebein oder der langjährige Neuköllner Bezirkschef Ruben Lehnert kandidieren erneut. Die vierte Ex-Vizechefin Deniz Seyhun hatte die Linke im November verlassen.

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Da sich fünf Kandidierende auf vier Plätze bewerben, wird es an dieser Stelle erstmals heikel. Absehbar ist, dass die Abgeordnete Elif Eralp sowie Martin Neise, Bezirksvorsitzender in Mitte, gewählt werden. Auch die umstrittene Martha Kleedörfer, bekannt geworden durch ihren später zurückgenommenen Vorwurf, Lederer habe den Holocaust verharmlost, dürfte gewählt werden. Um den vierten Platz kämpfen die einstige Abgeordnete Claudia Engelmann und die parteiintern kaum bekannte Ongoo Buyanjargal. Der Ausgang gilt als offen.
Und auch für den erweiterten Vorstand gibt es deutlich mehr Kandidaturen als Plätze. Begründet wird das mit der positiven Dynamik der Partei in den vergangenen Monaten und der im kommenden Jahr anstehenden Abgeordnetenhauswahl. Als Mitglied im Landesvorstand stehen die Chancen gut, einen aussichtsreichen Platz auf der heißbegehrten Landesliste zu ergattern. „Kaum gibt es für die Linke in Berlin wieder etwas zu holen, wollen alle in den Landesvorstand“, ätzt ein langjähriges Parteimitglied im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Fokus auf Wohnen und Miete
Je nachdem, wie die Wahlen ausfallen, entscheidet sich, in welche Richtung sich die in ihrer Zusammensetzung so radikal veränderte Partei zumindest vorerst bewegt: Ob sie sich allein mit Fundamentalopposition begnügt oder weiter den Anspruch hat, real zu gestalten.
Thematisch wolle man sich auf die Wohn- und Mietenpolitik fokussieren, heißt es übereinstimmend. Das einstige Kümmerer-Image der Partei soll durch Sozialberatungen, Kiezversammlungen und Sprechstunden wiederbelebt werden.
Die Frage, ob am Wochenende der weiter schwelende Konflikt um den Krieg im Nahen Osten erneut aufbrechen wird, wollten die amtierenden Landeschefs im Vorfeld lieber nicht beantworten. Ein Antrag zum Thema ist bislang nicht auf der Tagesordnung, könnte aber noch kurzfristig eingereicht werden. Gleich mehrere Angehörige des offen pro-palästinensischen Lagers der Partei kandidieren für den Landesvorstand.
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