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Berlin: REZENSION Die Stunde des Parlamentes Ein TU-Dozent rettet Berlin –

mit einer provokanten These

Das Thema der mangelhaften finanziellen Ausstattung Berlins ist allgegenwärtig. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass neue, schockierende Zahlen präsentiert werden. Folgen für öffentliche Einrichtungen werden vorgeschlagen, kritisiert, bekämpft, verworfen. Jetzt taucht ein Vorschlag auf, der in seiner Radikalität gewiss zu einem Aufschrei führen wird, der allerdings den Vorzug hat, der Berliner Politik den Spiegel vorzuhalten.

In der deutschen Geistesgeschichte sind die Verfasser von Schriften über den Ausnahmezustand ganz überwiegend der politischen Rechten zuzuordnen. Ihre Rezepte sind meistens autoritär und antiparlamentarisch. Nicht so bei Markus C. Kerber, der seit 2001 an der TU Berlin Öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik lehrt und die Berliner Finanzpolitik seit Jahren zum Gegenstand seiner wissenschaftlichen Publikationen macht. Kerber sieht die Stunde des Parlaments gekommen. Über Parteien hinweg seien alle Mitglieder des Abgeordnetenhauses verpflichtet, ein Programmgesetz auf den Weg zu bringen, mit dem der Senat verpflichtet werde, sämtliche Beteiligungen sofort zu veräußern, mit diesen Erträgen die Schuldenlast zu mildern und gleichzeitig den Personalbestand zu verringern und das Besoldungsniveau zu senken.

Kerber meint, die Legalitätsreserven der Berliner Verfassung würden ausreichen, diesen Kraftakt zu meistern. Zum Beleg seiner These hat er sich einen Verleger ausgesucht, der diese Hoffnung für ihn verkörpert: Torsten Hilse, SPD-Abgeordneter aus Ost-Berlin, der von sich reden machte, als er mutig und aussichtslos gegen Walter Momper, „einen typischen Repräsentanten der West-Berliner SPD“, bei der Wahl um die Präsidentschaft des Abgeordnetenhauses antrat. Der Mut, den der Abgeordnete Hilse erneut durch die Verlegung von Kerbers Streitschrift zeigt, belegt, wie wenig sich die ostdeutschen Sozialdemokraten protestantischer Prägung mit der hedonistischen Amtsführung Klaus Wowereits identifizieren können. Derartig Mutige sucht man bei den Oppositionsparteien bisher nicht immer mit Erfolg, obwohl die Kritik des Senats zu ihren verfassungsrechtlichen Obliegenheiten gehört. Dabei müssten doch gerade die Oppositionsparlamentarier verstehen, dass – wie Kerber formuliert – die Selbstverdrängung des Parlaments früher oder später zu einem Regimewechsel führen wird: Kurzfristig, weil das Versagen der im Parlament versammelten politischen Klasse den Weg zum Bundeskommissar bereitet oder zumindest zu einer Verstärkung der exekutiven Befugnisse. Langfristig, weil sich das Parlament hierdurch als Programmgestalter überflüssig macht und den Wechsel zu einem direkt gewählten Bürgermeister einleitet.

Ob Kerbers Appell, die Abgeordneten mögen die 20-Milliarden-Euro-Garantie zugunsten der Bankgesellschaft rückgängig machen und alle weiteren Garantien für öffentliche Betriebe zurücknehmen, bei allen Abgeordneten Gehör findet, ist zu bezweifeln. Sie würden doch dadurch sich und ihren Fraktionsführern ein Armutszeugnis ausstellen. Doch wenn kein Ruck durch das Landesparlament geht, führt an Kerbers Einsicht kein Weg vorbei: Der Bundeskommissar muss den Senat absetzen. Dann wäre die Party endgültig vorbei und die Rekonstruktion Berlins als Hauptstadt und Metropole könnte ernsthaft beginnen.

Markus C. Kerber, „Vor dem Sturm – Anmerkungen zur finanziellen Neuordnung Berlins aus staatsrechtlicher und finanzwissenschaftlicher Sicht“, Verbum Druck- und Verlagsgesellschaft Berlin , 88 Seiten, 12 Euro.

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